Buchkritik -- Omar El Akkad -- American War

Umschlagfoto, Buchkritik, Omar El Akkad, American War, InKulturA Im Jahr 2075 beginnt der zweite, auf amerikanischem Boden ausgetragene Krieg. Zudem haben die USA unter den dramatischen Umweltveränderungen zu leiden, denn der Klimawandel hinterlässt Spuren. Wieder einmal kämpft der Süden gegen den Norden, weil ersterer sich weigert, dem Verbot des Nordens, der Nutzung fossiler Brennstoffe, Folge zu leisten. Mitten in den Kriegswirren lebt die junge Sarat Chestnut mit ihrer Familie am Ufer des Mississippi in Louisiana. Was sie besitzen, reicht zum Leben, mehr auch nicht. Als der Vater beim Versuch eine Arbeitsgenehmigung für den Norden zu erhalten einem der zahlreichen, von Milizen des Südens verübten Anschlägen ums Leben kommt, endet für Sarat die Kindheit und sie wird hineingezogen in den Wahnsinn aus Gewalt, Intoleranz und Abstammungsdünkel.

"American War" ist ein dystopischer Roman, der die politischen Verhältnisse auf den Kopf stellt. Die einst so mächtigen USA sind zusammengebrochen. Umweltkatastrophen sorgen für Millionen inneramerikanische Flüchtlinge. Die Nation ist gespalten in Rote und Blaue, in den Süden und Norden, wobei einmal mehr der Süden für - etwas zu plakativ beschrieben - Rückschritt und politischer Ignoranz steht.

Der Roman ist die Geschichte der Sarat Chestnut, die sukzessiv zu einer "Schwarzen Witwe", zu einer Terroristin gemacht wird. Nach dem Tod des Vaters kommt die Familie im Flüchtlingslager "Camp Patience" unter, wo sie Albert Gaines, einem zwielichtigen, zwischen den Fronten sein Metier betreibenden Anwerber für die Sache des Südens kennenlernt. Als, geduldet vom Norden, ein Massaker im Flüchtlingslager stattfindet, entscheidet sich auf dramatische Weise Sarats Zukunft.

Omar El Akkad, hauptberuflich Journalist, beschreibt einen Geschichtsverlauf, der dem aktuellen politischen Geschehen diametral entgegengesetzt ist. Während die USA im Jahr 2075 globalpolitisch eine verschwindend geringe Rolle spielen, hat sich an der südlichen Mittelmeerküste - heute noch nennen wir das den islamischen Krisenbogen - das Bouazizireich etabliert das, zusammen mit China, die neue Großmacht darstellt.

Der Autor, das muss man anmerken, benutzt ungeniert historische Vorgänge und Abläufe als Vorlage für seinen Roman. So erinnert das Massaker von Camp Patience an die schrecklichen Vorgänge in Sabra und Schatila, wo phalangistische Milizen unter den Augen israelischer Soldaten an palästinensischen Flüchtlingen brutale Verbrechen begingen.

So wird für Sarat das Ereignis von Camp Patience zu einer Initialzündung des Hasses. Ihre Geschichte ist die einer Radikalisierung, die, unterstützt durch einen ausländischen Agent Provocateur, sich weitab jeglicher Rationalität entwickelt. Sarat ist Täterin und Opfer zugleich, stets jedoch als Spielball fremder Interessen.

"Und sie verstand etwas, […] – nämlich dass das Leid des Krieges die einzige wirklich universale Sprache der Menschheit war. Man sprach und verstand sie an allen Enden der Erde, nicht wie die Gebete, die überall verschieden waren, nicht wie der leere Aberglaube, an den sie sich so verzweifelt klammerten. Diese Sprache hingegen, die hatten sie alle gemein. Der Krieg zerbrach sie überall auf dieselbe Art, machte sie überall ängstlich und wütend und rachsüchtig. In Glücks- und Friedenszeiten waren die Unterschiede groß, doch nahm man ihnen Glück und Frieden, dann sah man, wie sehr alle Menschen sich glichen. Der weltweite Schlachtruf des Krieges war, das hatte sie gelernt, ganz einfach: Wenn du an seiner Stelle gewesen wärest, hättest du es nicht anders gemacht."

Wenn es so etwas wie Schlüsselsätze eines Romans gibt, dann sind diese das Motto des "American War". Dieser Krieg, inneramerikanisch begonnen und im weiteren Verlauf befeuert durch die Großmachtinteressen des Bouazizireichs, entmenschlicht und brutalisiert die Individuen, deren Verhalten, stets im Glauben an die „gerechte Sache“, immer bestialischer wird.

Omar El Akkad hält der Welt sozusagen einen Spiegel vor, denn seine Dystopie ist auch eine Vertauschung der aktuellen politischen Verortung. So betreibt der Westen unter Führung der USA spätestens seit dem arabischen Frühling eine Demokratisierung mit der Waffe. Den Erfolg sieht man z. B. in Libyen oder Syrien.

"American War" bringt den Krieg zurück in die USA. Aus Drohnenangriffen mit, wie Militärs und Politiker gern behaupten, "chirurgischer Präzision" werden, da es Rebellen des Südens gelingt, das Kontrollzentrum dieser fliegenden Tötungsmaschinen zu zerstören, mörderische Instrumente des Zufalls, denn sie suchen ihre Ziele vollkommen unabhängig von jeglicher Kontrolle aus.

Es sind mitnichten die großen militärischen Interventionen, die den Autor interessieren, sondern die Mikrowelt der Individuen, die, da im Krieg die fragile Oberfläche der Zivilisation zuerst brüchig wird, ihren wohl angeborenen atavistischen Trieben folgen. Und da es im Amerika des kommenden 22. Jahrhundert, diesen leider unglaubwürdigen Eindruck erhält der Leser zumindest, technische Geräte wie Handys, Computer oder die digitale Vernetzung nicht mehr gibt, besinnen sich die Menschen wohl darauf, was sie im Verlauf ihrer Entwicklung am besten gelernt haben – anderen Schmerz und Leid zuzufügen.




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Veröffentlicht am 19. August 2017