Buchkritik -- Aleida Assmann -- Formen des Vergessens

Umschlagfoto, Buchkritik, Aleida Assmann, Formen des Vergessens, InKulturA Gleich vorweg gesagt, "Formen des Vergessens" von Aleida Assmann ist kein Buch, das hirnphysiologische und neuro-biologische Erkenntnisse im Fokus hat, sondern es zeigt die gesellschaftlich-kulturellen Mechanismen von Erinnern und Vergessen. Das kulturelle Gedächtnis ist flexibel: "Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben, sagt mein Stolz. Endlich gibt das Gedächtnis nach." Bereits Nietzsche, dieser profunde Kenner menschlicher Abgründe, wusste um die Dehnbarkeit dessen, was wir Erinnerung nennen und so ist es kein Wunder, dass er zum Verfechter des Vergessens wurde, denn, so Nietzsche, nur so wird der Weg freigemacht für den konstruktiven Umgang mit der Gegenwart.

Aleidas Assmann untersucht in ihrem Buch das kulturelle und gesellschaftliche Vergessen, das in diversen Formen auftreten kann. Eine davon, die weitaus spannendste ist die Streichung historischer Tatsache aus dem nationalen Erinnern. Als Beispiel führt sie das Verschwinden des Lenin-Kults aus dem nationalen Gedächtnis Russlands an, der, quasi im staatlichen Auftrag, die Person Lenins aus der Geschichte herauskatapultiert und dem Vergessen anheimgibt.

Vergessen ist jedoch bei weitem nicht ausschließlich destruktiv, sondern, der Westfälische Friede von 1648 formuliert das treffend, für zukünftiges politisches Handeln sogar notwendig. "... immerwährendes Vergessen und Vergeben all dessen, was seit Beginn dieser Auseinandersetzungen von der einen oder der anderen Seite feindlich geschehen ist." Es scheint, als wenn unsere Vorfahren diesbezüglich weitaus realistischer waren als wir Gegenwärtigen.

"Nicht Erinnern, sondern Vergessen ist der Grundmodus menschlichen und gesellschaftlichen Lebens", so Assmann und formuliert damit eine Tatsache, die schon Nietzsche für wichtig in Bezug auf die mentale Gesundheit hielt.

Im Zeitalter des globalen digitalen Gedächtnis, das in Form von Big Data das Vergessen zu einem Fakt der Unmöglichkeit macht, ist das Verhältnis zwischen Erinnern und Vergessen zugunsten ersterem entschieden, denn was einmal in die Cloud hochgeladen wurde, bleibt für eine lange Zeit im virtuellen Raum, immer darauf wartend, wieder neu geladen zu werden. Vergessen gibt es anscheinend ausschließlich im analogen Modus.




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Veröffentlicht am 19. Februar 2017