Buchkritik -- Simon Hage/Martin Hesse -- Aufholjagd

Umschlagfoto, Buchkritik, Simon Hage, Martin Hesse, Aufholjagd, InKulturA Die deutsche Automobilindustrie befindet sich in einer tiefen Krise. Politische Vorgaben, wie das von der EU beschlossene Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab 2035, das eine der zahlreichen Maßnahmen sein soll, die Erderwärmung zu stoppen und nicht zuletzt der Abgasskandal haben dem Stolz der Wirtschaftsnation Deutschland einen herben Dämpfer versetzt, denn der Trend geht eindeutig in Richtung Elektromobilität, den, das muss konstatiert werden, die Autobosse unseres Landes verschlafen haben.

Was also unternehmen, um den Vorreitern und hier ist an erster Stelle Elon Musk zu nennen, der mit seinen Fahrzeugen die deutschen Automobilbauer vor sich her treibt, Paroli zu bieten, verloren gehen werdende Absatzmärkte zurückzuerobern und der weit voraus geeilten Konkurrenz wieder auf den Pelz zu rücken?

Die beiden Autoren sind intime Kenner der Branche und haben eine kritische Bestandsaufnahme dessen geliefert, was während der letzten Jahre in den Führungsetagen der Konzerne versäumt wurde, um zumindest den Anschluss an die global führenden Produzenten im Bereich Elektromobilität zu halten.

Zu behäbig, zu fett, zu erfolggewohnt, nicht gerade von Innovationsfreunde geprägt und ein nicht mehr zeitgemäßer Führungsstil haben aus den Flaggschiffen deutscher Ingenieurskunst alte schwerfällige Tanker werden lassen, die jetzt mit allen Mitteln und enormen Investitionen versuchen, auf die Veränderungen im Bereich Mobilität zu reagieren.

Diese wird in der Zukunft, Simon Hage und Martin Hesse beschreiben es explizit, eine weitaus umfassendere sein, als ausschließlich die Fortbewegung von A nach B. Das Auto der Zukunft wird Bestandteil einer Vernetzung sein, deren primäres Interesse weniger der (Automobil)Technik gilt, sondern vielmehr der Zusammenschluss digitaler Angebote in einem, als Zielvorstellung, fahrbaren Computer ist, der seinen Insassen personalisierte Inhalte präsentiert, die, weil das autonome Fahren menschliche Eingriffe unnötig macht – machen soll –, letztendlich der feuchte Traum der Konzerne ist, die mit dem Sammeln und Auswerten eben dieser Daten enorme Umsätze machen.

Aus diesem Grund wird im Auto der Zukunft nicht mehr eine ausgefeilte und auf die Spitze getriebene Technik im Mittelpunkt stehen, ein Elektromobil besitzt weitaus weniger Teile als ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor, sondern die Software, mit der das Auto und letztendlich die Insassen vernetzt sind. Und genau an dieser Stelle liegt der Hase im Pfeffer. Digitalkonzerne wie Apple, Google und das chinesische Internetunternehmen Tencent sind hier führend und die Versuche der deutschen Automobilhersteller, eigene Plattformen zu entwickeln, scheinen bislang nicht von Erfolg gekrönt zu sein.

Die Autoren geben Aufschluss über das Innenleben der drei großen deutschen Automobilhersteller und ihres Führungspersonals, das vor enormen Herausforderungen steht und dessen Aufgabe es ist, eine Branche, in der über 830.000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen direkt und Hunderttausende in Zulieferbetrieben beschäftigt sind, zukunftsfähig zu machen.

Dass diese Transformation schwierig ist und ein Umdenken sowohl bezüglich der Firmenstrukturen und -hierarchien notwendig macht, dürfte allen Beteiligten klar sein. Auch wenn die bislang selbstverliebten Autobauer es nicht gerne hören, über die Zukunft des deutschen Automobilbaus entscheidet nicht mehr die Hardware, sondern die dazugehörige Software. Nicht die Stärke des Motors wird entscheidend sein, sondern das dahinterstehende Computerprogramm.

Nur wer die Hoheit über die Daten besitzt, wird als Sieger aus der Krise hervorgehen. Ob das die deutsche Automobilbranche sein wird, die sich allzu lange auf ihren Lorbeeren ausgeruht hat, ist, trotz aller im Buch beschriebenen Versuche verlorenes Terrain zurückzuerobern, fraglich.




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Veröffentlicht am 29. Mai 2022