Buchkritik -- Ethan Bayce -- Mount Maroon

Umschlagfoto  -- Ethan Bayce  --  Mount Maroon, InKulturA Wer hat sich nicht schon einmal die Frage nach dem "was wäre wenn ..." gestellt? Eine andere Entscheidung, eine flüchtige Bekanntschaft oder ein zufälliges Ereignis und unser Leben hätte eine andere Richtung eingeschlagen. Gesetzt den Fall, es gäbe die Möglichkeit in die Vergangenheit zu reisen, würden wir mit den Handlungen, die wir dort vornehmen, die Zukunft, unsere Zukunft signifikant verändern können, oder würden wir sogar, wie das Beispiel des Großvater-Paradoxons zeigt, durch den Mord an unserem Großvater, der jetzt nicht mehr dazu in der Lage ist unseren Vater zu zeugen, in der Gegenwart nicht mehr existieren?

Diese Frage wird ebenfalls von quantenphysikalischen Grundlagenforschern wissenschaftlich untersucht. Ethan Bayce hat aus diesen theoretischen Ingredienzien einen Wissenschaftsthriller gemacht, der, hart an den aktuellen Diskussionen von Wissenschaftlern, die sich mit theoretischer Physik beschäftigen, die Frage nach der Möglichkeit und den Risiken einer Zeitreise aufwirft.

Peter Saunders erwacht in einem Krankenhaus und er erinnert sich nur bruchstückhaft an einen Autounfall und an eine durch ein Gewitter unterbrochene Wanderung mit einem Freund. Dass er im Forschungstunnel der Mount Maroon Forschungseinrichtung gefunden wurde, verschweigt man ihm zunächst. Schnell bemerkt er, dass die Identität, die man ihm während seines Krankenhausaufenthalts suggeriert, nicht mit den Bruchstücken seiner bald zurückkehrenden Erinnerungen übereinstimmt. Er flüchtet aus dem Krankenhaus und begibt sich auf die Suche nach seinem richtigen Leben. Sehr bald stellt Saunders fest, dass sein Leben, so wie er es in Erinnerung hat, anscheinend niemals existiert hat. Seine Frau ist mit einem anderen Mann verheiratet und auch seine Tante hat an ihn, da er in deren Zeitlinie bereits im jugendlichen Alter einen tödlichen Unfall hatte, keine Erinnerung mehr. Einzig sein bester Freund Luther schenkt ihm Glauben und macht sich gemeinsam mit Peter auf die Spurensuche.

Was anfänglich als genreüblicher Science-Fiction-Roman erscheint, entwickelt sich schnell zu einem rasanten Thriller, der sich hart an den Fakten der Quantenmechanik bewegt und der zudem die aus diesen Theorien resultierenden philosophischen Implikationen als Spannungsbogen benutzt. In Anlehnung an Hugh Everett und seine Interpretation der Quantenmechanik, die Viele-Welten-Theorie, die, vereinfacht ausgedrückt aussagt, dass im Augenblick der Messung eines quantenmechanischen Zustands kein Kollaps der Wellenfunktion stattfindet, sondern aus den verschiedenen Zuständen real existierende Welten resultieren, schickt Bayce seinen unfreiwillig Zeitreisenden in ein paralleles Universum.

Während die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik diese Zustandsreduktion - Kollaps der Wellenfunktion - anhand des Beispiels von "Schrödingers Katze", über deren Zustand, lebend oder tot, erst der Augenblick der Messung, also der Blick in den Kasten, Klarheit verschafft, geht die Viele-Welten-Theorie davon aus, dass der Kollaps nicht stattfindet und anstelle dessen zwei Realitäten entstehen.

Diese Theorie ist dann auch der Ausgangspunkt für Ethan Bayce und seinen tragischen Helden Peter Saunders. Als unbeabsichtigte Nebenwirkung eines Zeitreise-Experiments im Mount Maroon Laboratory wird er in eine andere Realität versetzt. Dadurch wird eine Reaktionskette in Gang gesetzt, die in einer neuen Zeitlinie stattfindet. Den Verantwortlichen des Experiments wird erst allmählich klar, welche fatalen Folgen ihr Experiment in den verschiedenen Zeitlinien haben könnte.

"Mount Maroon" ist ein überaus intelligenter, den Leser fesselnder Roman. Ethan Bayce - unter diesem Pseudonym schreibt der Autor - hat einen Wissenschaftsthriller geschrieben, der auf der Höhe der aktuellen quantenmechanischen Diskussionen angesiedelt ist. So wird in dem von Bayce beschriebenen Versuch im Gegensatz zu herkömmlichen Theorien zur Möglichkeit einer Zeitreise nicht das Objekt auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, sondern die Zeit selber wird verlangsamt. Wie gegenwartsnah Bayce hier schreibt, zeigt die Tatsache, dass es im Jahr 2010 einer Forschungsgruppe in Deutschland am Institut für Nanostrukturtechnologie und Analytik der Uni Kassel unter der Leitung von Professor Johann Peter Reithmaier gelungen ist, die Geschwindigkeit des Lichts von 300000 Kilometer pro Sekunde auf 30 Meter pro Sekunde zu verringern.

Ethan Bayce spielt geschickt mit den temporalen Versatzstücken dieses Romans. Die parallelen Zeitlinien, angeordnet wie Puzzleteile, fordern dem Leser dann auch einiges an innerer Mobilität ab. Niemals verliert der Autor jedoch den Handlungsfaden aus den Händen und jede überraschende Wendung, von denen es einige in diesem Buch gibt, ist logisch nachvollziehbar. "Mount Maroon" von Ethan Bayce ist ein echter Pageturner. Es sollte nicht überraschen, wenn dieser Roman die Vorlage für eine spektakuläre Verfilmung wird.




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