Buchkritik -- Vivien Stein -- Heinz Berggruen. Leben und Legende

Umschlagfoto  -- Vivien Stein Wer das Wagnis unternimmt, das Leben eines Menschen, der von der veröffentlichten Meinung auf das Piedestal der Unangreifbarkeit gehoben wurde, kritisch zu betrachten und infolge dieser Recherchen zu dem Ergebnis gelangt, dass sich ein unüberbrückbarer Widerspruch auftut zwischen den Fakten und dem Kolportierten, der muss sich der Risiken und Nebenwirkungen seiner Untersuchungen bewusst sein.

Vivien Stein hat mit ihrem Buch "Heinz Berggruen - Leben und Legende" zweifelsohne in ein Wespennest gestochen. Der Aufschrei der Empörung, der nahezu unisono durch die Medien der Bundesrepublik tobt, zeigt auf verstörende Weise, welche Konsequenzen eine Autorin zu akzeptieren bereit sein muss, die es wagt, die Biographie eines Menschen zu veröffentlichen, die in großen Zügen von der öffentlichen Wahrnehmung der betreffenden Person abweicht.

Heinz Berggruen wurde spätestens im Jahr 2000, als er seine Bilder, Die Sammlung Berggruen, für 253 Millionen Mark an die Stiftung Preussischer Kulturbesitz verkaufe, zu einer deutschen Lichtgestalt . Berggruen wurde das Symbol der Versöhnung zwischen Deutschen und Juden. Ein Überlebender des Holocaust und Heimkehrer nach Berlin, damit wurde Berggruen förmlich die Rolle des Erlösers eines historisch schwer belasteten Verhältnisses zugeschrieben.

Die Autorin begibt sich auf die Spurensuche nach dem wirklichen Menschen Heinz Berggruen und macht abseits der offiziellen Darstellung nicht wenige Details publik, die nicht mit den persönlichen Erinnerungen Heinz Berggruens und der daraus resultierenden offiziellen Vita des Kunstmäzens übereinstimmen.

Bereits seine von ihm immer wieder erwähnte Flucht aus Deutschland war in Wirklichkeit eine eher komfortabel gestaltete Ausreise in die USA. Seine, von ihm als eng beschriebenen Freundschaften sowohl mit dem mexikanischen Maler Diego Rivera als auch mit Pablo Picasso, weist Vivien Stein als nicht korrekt nach. Ebenso seine immer wieder gern erwähnte Liaison mit Frida Kahlo erweist sich eher als Wunschdenken, denn als nachprüfbare Realität.

Die Autorin zeigt einen Mann, dem es nicht so sehr an der Wahrheit betreffs des eigenen Lebensweges gelegen war, sondern viel mehr an dem Bild, dass er der Öffentlichkeit zu geben bereit war. Dass dabei so manche Fakten auf der Strecke bleiben mussten, war für Berggruen, der, so Stein, des Öfteren dieselben Begebenheiten aus seinem Leben mit unterschiedlichen Interpretationen schilderte, anscheinend kein Problem.

Nun ist ja die Tatsache, dass jeder Mensch versucht, sein Leben in einem für ihn möglichst vorteilhaftem Licht zu schildern, nichts an sich Verwerfliches. Das ist menschlich, manchmal leider allzumenschlich. Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack zurück, wenn der Leser erfährt, dass Heinz Berggruen sieben Jahre nach der Veröffentlichung seiner Memoiren bezüglich seines armen Onkels Sally eine dem deutschen Publikum angepasste Variante nachlieferte.

Berggruen war ein mit allen Wassern der Szene gewaschener Kunsthändler. Sogar Vivien Stein räumt ein, dass er dieses Metier unübertroffen beherrschte. Sein Gespür für ein gutes Geschäft, seine Zielstrebigkeit und sein Einfallsreichtum nötigen auch der Autorin ehrlich gemeinten Respekt ab. Eines war er jedoch nicht, auch wenn er es nach seiner Rückkehr nach Deutschland immer wieder behauptete. Er war kein Sammler, dessen Leben sich ausschließlich um die Kunst drehte. Berggruen verstand es sehr wohl, und das beweist der umfangreiche Anhang des Buches, seine Vorteile aus dem vom ihm gepflegten Understatement zu ziehen. Allein sein geschicktes Taktieren zischen der Londoner National Gallery und der SMPK (Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz) in Berlin, muss für den erfahrenen Kunsthändler einer der Höhepunkte seines Lebens gewesen sein.

Nun sind es, wie Vivien Stein an einer Stelle ihres Buches betont, "[...], juristisch betrachtet, nur Drittaussagen, Meinungen und Vermutungen." Trotzdem ergibt sich aus ihrer gut belegten Recherche, dass Heinz Berggruen - wie viele andere seiner Händlerkollegen auch - nicht gerade darauf erpicht gewesen ist, Steuern zu zahlen. So wird der Leser dann auch Zeuge, mit welchen Methoden und Tricks nicht nur Berggruen, sondern der gesamte mehr oder weniger hermetische Zirkel derjenigen, die mit dem Handel von Kunstobjekten ihr Einkommen erzielen, sich der Abgabe von als lästig erachteten Steuern entzieht.

Bis zu seiner, von den Medien und der Politik gefeierten Rückkehr nach Deutschland, bzw. nach Berlin zeichnet die Autorin ein Bild von Heinz Berggruen, dass an vielen Stellen durchaus positiv die Schlitzohrigkeit und das unternehmerische Kalkül des Kunsthändlers darstellt. Sie präsentiert einen finanziell erfolgreichen Kaufmann und einen international agierenden Kunsthändler, dessen Lebenslauf den jeweiligen offiziellen Anforderungen und Bedürfnissen gegenüber mal mehr, mal weniger geschönt wurde. Wäre es dabei geblieben, hätte kein Anlass bestanden, sich näher mit der Person Heinz Berggruen zu beschäftigen. Er wäre einer von vielen geblieben, die mit dem An- und Verkauf von Kunst gutes Geld verdient haben.

Mit seiner Rückkehr nach Deutschland begann indes eine durch die Medien inszenierte Kampagne, in deren Folge aus dem Kunstsammler Berggruen eine symbolträchtige Figur im schwierigen Verhältnis zwischen Deutschen und Juden gemacht wurde. Es ist immer noch schwierig, man bemerkt es an den wütenden Reaktionen auf die Veröffentlichung dieses Buches, einen Menschen zu kritisieren, der, um es vorsichtig zu formulieren, immer den eigenen Vorteil im Fokus seiner Aufmerksamkeit hatte und zudem ein Jude war. Anscheinend, und das zeigen die Beißreflexe der veröffentlichten Meinung, ist berechtigte Kritik an der Handlungsweise einer Person unerwünscht, wenn sie mit dem Titel Überlebender des Holocaust ausgezeichnet worden ist

In Berlin, der letzten Station im Leben von Heinz Berggruen, prallten zwei Bedürfnisse mit einer Intensität aufeinander, deren nachmalige Verschmelzung jegliche Kritik zu einem Tabubruch diskreditierte. Erst das politische Bedürfnis nach Absolution gegenüber den Verbrechen des Nationalsozialismus, kräftig angefeuert durch die veröffentlichte Meinung, und die Tatsache, dass Heinz Berggruen diesem deutschen Verlangen all zu gern nachgab, konnte aus einem Kunsthändler einen Kunstmäzen machen, der jenseits jeglicher Bedenken stand.

Halb zogen sie ihn, halb sank er hin. Keine Beschreibung trifft das Verhältnis zwischen Berggruen und den Medien besser, als dieses leicht verfremdete Zitat von Goethe. Wer das Buch von Vivien Stein liest, dem fällt das treffende Wort Inszenierung ein. In der Tat war die Metamorphose eines Kunsthändlers hin zu dem politischen Gewissen der Nation ein beispielloses Ereignis. Kritik an der Person Berggruen wurde mit Antisemitismus gleichgesetzt und damit automatisch als unangebracht und unerwünscht abgehandelt.

Es sind dann auch wohl die Berliner Jahre von Heinz Berggruen gewesen, die die Autorin dazu bewogen haben, diese kritische Biographie zu veröffentlichen. Erst im Zusammenhang mit den letzten Jahren des Kunsthändlers in Deutschland ergibt sich ein differenziertes Bild dieser Person des öffentlichen Lebens in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Vivien Stein zeigt einen anderen, inoffiziellen Berggruen und verweist zahlreiche seiner autobiographischen Erinnerungen in das Reich der Legende.

Heinz Berggruen war zweifelsohne ein Opportunist, der es Zeit seines Lebens verstanden hat, sich der Zahlung von Steuern zu entziehen. Er, der sich gern als Mäzen feiern ließ, war in Wirklichkeit ein gewiefter Kunsthändler. Das hatte er sicher mit vielen Personen der Kunstszene gemeinsam und wäre allein kein Grund gewesen, eine derart umfangreiche Biographie zu veröffentlichen.

Schwerwiegend sind jedoch die von Vivien Stein erhobenen und gut belegten Vorwürfe an die Adresse von Heinz Berggruen, sich seinen Ruf als großzügiger Mäzen der Kunst und seine Inszenierung als heimkehrender Jude, der den Holocaust überlebt hat, in Form von materiellen Vorteilen hat entlohnen lassen. Ein eigenes Museum und ein lebenslanges mietfreies Wohnrecht in "seinem" Haus waren noch die geringsten Vorteile, die Berggruen für sich verbuchen konnte.

Vivien Stein hat eine faire Biographie über Heinz Berggruen veröffentlicht, die das öffentliche Bild dieses Mannes an vielen Stellen korrigiert. Dafür war es höchste Zeit.




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