Buchkritik -- Dieter Breuers -- Sterben für Jerusalem

Umschlagfoto  -- Dieter Breuers  --  Sterben für Jerusalem Berufsmäßige Historiker und interessierte Laien haben mindestens eines gemeinsam. Sie fragen sich, aus welcher Perspektive betrachtet "passiert" Geschichte. Ist es der Ablauf der Zeit, der in Quellentexten, alten Handschriften, Überlieferungen, etc. dokumentiert wird? Was davon ist authentisch, was eine Fälschung und was nur eine "halbe" Wahrheit?

Ebenso grundsätzlich ist die Beantwortung der Frage wie Geschichte "gemacht" wird. Sind es einzelne Individuen wie z. B. Alexander der Große, Nero, Napoleon, usw. welche die Historie bestimmen und prägen, oder sind es vielmehr die Einflüsse von allen mittelbar und unmittelbar Beteiligten, die Geschichte "machen"?.

Diese Fragen beantwortet Dieter Breuers in seinem Buch "Sterben für Jerusalem" eindeutig. Für ihn ist Geschichte die Summe all der Erfahrungen der daran Beteiligten. In seinem "Doku-Roman" zeichnet er anhand der Erlebnisse von fünf verschiedenen Menschen den ersten Kreuzzug nach. Nicht aus der offiziellen Sicht der herrschenden Kreise, sondern aus der Augenhöhe von normalen Menschen.

Herausgekommen ist ein überaus spannendes und faszinierendes Werk. In seiner atmosphärischen Dichte unterscheidet es sich wesentlich von anderen Büchern. Geschichte gesehen als gelebte Zeit, als Abfolge von individuellen Erlebnissen und nicht so sehr als Datensammlung in Geschichtsbüchern.

Der erste Kreuzzug, aus kirchlicher Sicht postuliert als einzigartige Möglichkeit zur Erlangung des Seelenheils, als Notwendigkeit, die Heiden ( es stellte sich bald heraus, das die "Heiden" zivilisierter waren als die Kreuzzügler ) aus Jerusalem zu vertreiben. All das wurde mit frommen Absichten und hehren Zielen begründet.

Mitnichten war es nicht so. Die wahre Geschichte beschreibt Breuers in seinem Buch. Da ist die Rede von Gewalt, Habgier, Brutalität, Hunger, Elend und Neid. Es ist nichts mehr zu finden von den offiziell verkündeten Absichten, sondern nur ein, auch nach damaligen Maßstäben beurteilt, absinken in exessive Gewalt. Es wird vergewaltigt, gefoltert, gemordet. Teils aus perverser Lust, teils aus gefühlsmäßiger Rohheit.

Primär war es laut Breuer nicht das Ziel der meisten Kreuzfahrer Jerusalem zu befreien, sondern der Erwerb, bzw. der Diebstahl von Reichtum und Ländereien. Beides, Reichtum und Land, war zuhause schon in den Händen der Erstgeborenen. Die Teilname am Kreuzzug war also die einzige Möglichkeit für viele, in den Besitz von Geld und Macht zu gelangen, ohne sich Sorgen über das Seelenheil machen zu müssen. Denn das töten von "Ungläubigen" wurde vergeben.

"Sterben für Jerusalem" ist sowohl ein spannendes als auch ein bedrückendes Buch. Es zeigt, wie leicht es auch in unseren Tagen ( siehe Ruanda und Bosnien ) möglich sein könnte, den dünnen Firnis der Kultur, der über allem liegt zu zerreissen, um sich auf einer rohen und brutalen Stufe der Zivilisation wiederzufinden.




Meine Bewertung:Bewertung