Buchkritik -- Jacques Brosse -- Mythologie der Bäume

Umschlagfoto  -- Jacques Brosse  --  Mythologie der Bäume Im Jahr 2001 veröffentlichte der Patmos Verlag die Paperbackausgabe eines 1989 vom Jacques Brosse geschriebenen Buches. Das Werk hat bis heute nichts von seiner Dringlichkeit verloren. Die Mythologie der Bäume beschreibt die im wahrsten Sinn die Wurzeln der europäischen Kultur. Bäume stehen für die Verehrung, aber auch für die Angst des Menschen vor der Natur. Sie mußte durch Opfer günstig gestimmt werden. Heilige Haine gibt es solange, wie die menschliche Kultur besteht.

Indem uns Brosse aufzeigt, welches Verhältnis unsere Vorfahren zu der sie umgebenden Natur hatten, zeigt er uns auch welches Mißverhältnis wir heutigen Menschen zu ihr haben. Bäume werden als Gebrauchsgegenstände betrachtet und ohne Bedenken abgeholzt. Die Heiligen Haine der Vergangenheit haben sich zu profitbringenden Arealen verändert. Die Scheu und der Respekt vor ihnen ist einem Kosten-Nutzendenken gewichen.

In einer Zeit der nichts mehr wichtig ist als der eigene Egoismus, der sich unter dem Euphemismus der Selbstverwirklichung darstellt, kann so etwas wie Respekt der Natur gegenüber nicht enstehen. Zu weit sind wir inzwischen davon entfernt eine Verbindung zwischen uns und Umwelt zu ziehen. Sie hat bestenfalls eine Bedeutung wenn es um die Auswahl eines Ferienortes geht. Ansonsten haben die meisten von uns die gleichen, fatalen Interessen: Schnurgerade Straßen, Autobahnen, und zubetonierte Vorstädte. Die Wahrnehmung des organischen um uns herum ist zum Schweigen gebracht worden. Schrebergartenidylle ersetzt Landschaft.

Jacques Brosse zeigt uns eine andere Zeit und einen anderen Umgang mit der Natur, mit Bäumen und mit Wäldern. In allen Mythologien hat der Baum eine zentrale Rolle. Er symbolisiert den Zustand der Welt. Wurzeln, Stamm und Äste stehen gleichfalls für die Position des Menschen in der Welt. Abhängig vom Boden auf dem sie lebten, entwickelten sich unsere Vorfahren und strebten Generation für Generation nach höherem. Der Weltenbaum, die Esche Yggrasil ist dafür das beste Beispiel.

In dem Maße wie sich Gesellschaften technisierten, nahm auch die Achtung vor der Natur ab. Wissenschaft ersetzte die Mythologie, Gott starb und übrig blieb die orientierungslose Gesellschaft in der sich fortan der Einzelne für das Maß aller Dinge hielt. Diese Gesellschaft ist trotz ihres materiellen Reichtums arm geworden. Vereinzelung, Verzweiflung und agressive Resignation sind die Symptome dafür. Therapeuten können davon sehr gut leben.

Dabei würde eine einzige Stunde liegend unter einer alten Eiche verbracht, den Geräuschen der Äste im Wind zuhörend und sich dem Rhythmus der Blätter überlassend, viel Geld für nutzlose, zivilisationsbedingte Therapien ersparen.




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