Buchkritik -- Nicolás Gómes Dávila -- Notas

Umschlagfoto  -- Nicolás Gómes Dávila  --  Notas Die pointierteste Form des philosophischen Aperçus ist der Aphorismus. Blitzschnell erfasst und beschreibt der Autor einen krisenhaften Zustand und zeigt deutlich seinen Widerwillen, seinen Ekel an der jeweiligen Situation. Nietzsche brachte es darin zur Meisterschaft. Diese Form des philosophischen Ausdrucks läßt keinen Diskurs zu. Der Aphorismus ist solitär, der Aphoristiker gleichsam ein Monolith, umgeben von einer ewig plappernden Gesellschaft.

Nicolás Gómes Dávila, der 1994 verstorbene kolumbianische Philosoph benutzt ebenfalls diese philosophische Ausdrucksform. 2005 erschien im Berliner Verlag Matthes & Seitz sein BuchNotas Unzeitgemäße Gedanken. Notas - Randbemerkungen und Notizen, ursprünglich von Hand geschriebene Gedanken zu Texte und Abhandlungen in Büchern, stellen für Dávila eine adäquate Methode dar, seinen Ekel an und seine Verachtung für die Moderne auszudrücken. Er selbst bezeichnete sich als Reaktionär - nicht als Rückgriff auf eine vermeintlich monarchisch bessere Zeit, sondern als bewußte Abkehr und Ablehnung der vermeintlichen Erfolge einer pervertierten Aufklärung.

Demokratie, Liberalismus, die reformierte katholische Kirche, etc. - für Dávila Ausdruck einer kollektiven Verblödung. Ebenso sieht er keinen signifikanten Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Beide versklaven den Menschen um Namen des Fortschritts. "Der Preis für industriellen Wohlstand ist die Verblödung." Dávila verstand es genau dahin zu schlagen, wo es weh tut.

Es ist der moderne Mensch, dem Dávila zutiefst misstraut. Dessen, im Zug der Aufklärung postulierte Selbstüberschätzung führten geradewegs in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Trotzdem fühlt er sich ungebrochen als Verwirklicher seines eigenen Glücks. Gerade der moderne demokratische Staat versteht es, seine Bürger unter Vorspielung der Möglichkeit individuellen Freiheit ihm gerade diese zu verweigern und sie dem Fetisch der Mehrheitsentscheidungen zu opfern.

Mit diesem Philosophen ist nicht gut Kirschen essen. Nicht zufällig widerspricht er sich manchmal selber. Als katholischer Philosoph hat er nur beißenden Spott übrig für alle diejenigen, die Gott zu Grabe getragen haben um sich der Selbsterlösung für fähig zu halten. Im gleichen Atemzug jedoch wirft er der Kirche vor, ihre wichtigste kulturelle Leistung sei es gewesen, den ökonomischen Aktivitäten ein ungünstiges Klima verschafft zu haben.

Im Gegensatz zu Nietzsche, für den Gott an seinem Mitleid mit den Menschen gestorben sei, setzt Dávila den Wahnsinn des modernen Menschen, zu glauben, daß er ohne Gott frei sein könne. Im Gegenteil, der Atheismus befreit den Menschen nicht, sondern unterwirft ihn zweifelhaften ideologischen Heilsversprechungen wie z. B. Kapitalismus und Kommunismus.

Folgerichtig will Dávila keine Lösungen oder Auswege anbieten. Seine Position ist die eines Querdenkers, der Positionen erschüttern will, die längst als allgemeingültig anerkannt sind und die deshalb keinen Zweifel mehr zulassen. Er war, nach Nietzsche, der einzige Philosoph der wirklich an Tabus gerüttelt hat. Wer das Wagnis unternimmt sich seiner Philosophie zu stellen, der wird die erschreckende Aktualität seiner Sätze bewundern.




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