Buchkritik -- Craig Whitlock -- Die Afghanistan Papers

Umschlagfoto, Buchkritik, Craig Whitlock, Die Afghanistan Papers, InKulturA Die folgenden Sätze aus dem Buch von Craig Whitlock stehen beispielhaft für zwanzig Jahre des angewandten Irrsinns unter dem Motto „Der Westen baut sich eine Demokratie“.

„Washington erlebte viele Frustrationen mit seinen Verbündeten. Jedes NATO-Mitglied hatte seinen Truppen als Bedingung für den Beitritt zur Koalition in Afghanistan unterschiedliche Beschränkungen auferlegt. Einige davon waren ziemlich absurd. Deutschland wollte seinen Soldaten nicht gestatten, an Kampfeinsätzen teilzunehmen, nachts zu patrouillieren oder den meist friedlichen Norden Afghanistans zu verlassen. Erlaubt war ihnen aber, große Mengen Alkohol zu trinken. Im Jahr 2007 lieferte die deutsche Regierung knapp eine Million Liter selbst gebrautes Bier und fast 70.000 Liter Wein für ihre 3500 Soldaten in das Kriegsgebiet. Im Gegensatz dazu kämpften die US-Truppen hauptsächlich und tranken kaum.“

„Mit den vier Transportmaschinen, die Masar-e Scharif im Norden des Landes verließen, zog die deutsche Bundeswehr am 29. Juli 2021 ihr letztes Kontingent von 570 Soldaten aus Afghanistan ab. Über zwei Jahrzehnte hinweg hatte Deutschland insgesamt 150.000 Soldaten nach Afghanistan entsandt, die die ersten Bodenschlachten einer deutschen Armee seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ausfochten. Neunundfünfzig Bundeswehrsoldaten starben im Einsatz, und die Mission kostete die deutschen Steuerzahler etwa 12,5 Milliarden Euro oder 15 Milliarden US-Dollar.“

Die damalige deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte in einer Stellungnahme gegenüber der FAZ zum Ende des Bundeswehreinsatzes: »Ein historisches Kapitel geht zu Ende, ein intensiver Einsatz, der die Bundeswehr gefordert und geprägt hat, bei dem sich die Bundeswehr im Kampf bewährt hat.«

Angesichts des bereits damals desolaten Zustands der Truppe eine verwegene Aussage – oder vielleicht doch kognitive Dissonanz? Egal. Immerhin wurde die Freiheit, unsere Freiheit, am Hindukusch verteidigt, sagte ein inzwischen zu Recht fast vergessener deutscher Politiker.

Zwanzig Jahre, von 2001 bis 2021, währte der Krieg der USA und ihrer willigen Verbündeten in Afghanistan. Zuerst als Reaktion, als Rache für die Anschläge von 9/11 und die Suche und Eliminierung Osama bin Ladens und die Vernichtung der Terrororganisation al-Qaida geplant, wurden daraus zwei Jahrzehnte eines durch Fehl- und Falschinformationen vertuschtes Debakels.

Craig Whitlock hat in seinem Enthüllungsbuch über 1.000 unmittelbar beteiligte Personen militärische und ziviler Art zu Wort kommen lassen, deren Tenor eindeutig ist. Die Strategie der USA mithilfe einer internationalen Koalition aus einem rückständigen, durch Clanherrschaft, Korruption und den Nachwirkungen der sowjetischen Intervention in Afghanistan zwischen 1979 und 1989 geprägten Landes eine nach westlichen Vorstellungen konstruierte Demokratie zu schaffen, schlug grandios fehl.

Westliche Hybris, Unkenntnis der Landessitten und Allianzen mit zweifelhaften Warlords, gepaart mit immensen Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung sorgten dafür, dass aus einer militärischen Vergeltungsmission ein Tummelplatz für raffgierige NGOs und kriminellen afghanischen Elementen innerhalb der von außen und in totaler Verkennung lokaler Sitten und Gebräuche installierten Administration unter Führung eines Operettenpräsidenten wurde.

Unsinnige Projekte, militärische Unkenntnisse darüber, wer Feind und Freund war – die Grenzen waren stets fließend – und das Fehlen einer Ausstiegsstrategie waren dafür verantwortlich, dass nach langen Jahren des Krieges, dem ein wirres und chaotisches und deshalb zum Scheitern verurteiltes „Nation-building“ folgte, ein überstürzter Truppenabzug, nennen wir es ruhig eine Flucht nach Art „Saigon 1975“, folgte.

Fazit: Außer Spesen nix gewesen, denn die alten Herrscher sind jetzt auch wieder die neuen Herrscher. Die Taliban sind, so wurde es unentwegt von der politischen und militärischen Führung der USA verlautbart, tot. Es leben die Taliban.

Nebenbei bemerkt. Immer wieder haben die vom Autor zitierten Zeitzeugen sich über die konstante Bildungsferne des größten Teils der afghanischen Bevölkerung, die trotz fast verzweifelter Bemühungen von militärischen und zivilen Ausbildern sich nicht hat überwinden lassen, erschrocken gezeigt. Möge sich jeder seine eigene Meinung bezüglich der Evakuierung sog. Ortskräfte nach Deutschland und deren erfolgreiche Integration hier machen...




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Veröffentlicht am 28. Februar 2022