Buchkritik -- Barbara Erdmann -- Polen - meine zweite Haut / Im Labyrinth der Liebe

Umschlagfoto  -- Barbara Erdmann Es gibt Bücher, die aus unerfindlichen Gründen nicht die Aufmerksamkeit eines großen Lesepublikums erreichen. Das mag zum einen daran liegen, dass sie ungeachtet des herrschenden Zeitgeistes und damit entgegen den Verkaufsprognosen und Gewinnerwartungen von Verlagen geschrieben wurden. Zum anderen, gerade wenn sie im Selbstverlag erscheinen, ist den Autoren zurecht nicht daran gelegen, ihr Werk erst durch den Filter eines Lektorats, das ja immer auch den erhofften Umsatz im Auge hat, zu veröffentlichen. Das ist schade, denn nicht immer schwingt der Umsatz im gleichen Takt wie die Qualität des Textes.

Wer, wie in diesem Fall Barbara Erdmann, zusätzlich das Wagnis der Veröffentlichung von Lyrikbänden eingeht, der scheint auf verlorenem Posten zu stehen. In einer Zeit, deren Merkmal gerade im Fehlen der individuellen Zeit besteht, in der es anscheinend zum guten Ton gehört, keine Zeit zu haben, ist Lyrik, sind Gedichte in den Augen der meisten Zeitgenossen wohl eher Zeitverschwendung als gewinnbringende Muße. Bedauerlicherweise machen in dieser Beziehung die Schulen unseres Landes keine Ausnahme. Gedichte führen ein beklagenswertes Nischendasein und werden allenfalls von Drittklässlern zur Weihnachtszeit gelernt.

Polen - meine zweite Haut und Im Labyrinth der Liebe von Barbara Erdmann sind zwei Lyrikbände, die dem Leser, wenn er es denn noch versteht, die leisen Töne wahrzunehmen, ein heute leider selten gewordenes Lesevergnügen bereiten. Das Leben und die Liebe, aber auch Verlust und Schmerz sind die Themen, welche sich, mal sanft und dezent wie im Gedicht Von Mensch zu Mensch - "Welch Genuss \ berührt zu werden \ welche Hingabe \ gestreichelt zu werden \..., mal empört und laut in Hexenzeiten - "Hexenzeiten \ sind angebrochen \ kriegslüstern kochen \ die Häuptlinge \ ihr Süppchen \ über offener Flamme \..." unaufdringlich, aber mit der bohrenden Aufforderung an den Leser, sich auf das Risiko einer Introspektion, einer Begegnung mit sich selber und seiner jeweils eigenen Geschichte, nähern.

Beide Bücher, sowohl Polen - meine zweite Haut als auch Im Labyrinth der Liebe, sind Ausdruck einer tiefen familiären Verwurzelung der Autorin und dem daraus resultierenden Bewusstsein eines die Generationen übergreifenden Wertesystems, das sich zwar öfter als äußerst fragil erweist, niemals jedoch endgültig zerstört werden kann.

Wenn man einen Satz suchen würde, um die Lyrik Barbara Erdmanns zu beschreiben, dann fällt einem sofort die Beschreibung "Bodenständigkeit, die das Fliegen nicht verlernt hat" ein. Neben einer beinahe Angst einflößenden Bejahung des Leben mit seinen manchmal auch grausamen Höhepunkten steht gleichzeitig die Bereitschaft, über sich selbst hinaus zu fühlen und Emotionen zum Ausdruck zu bringen, die ein Individuum nur erfahren kann, wenn es bereit dazu ist, sich dem - ohne falsches Pathos - Geschenk des Lebens anzuvertrauen.

Es steht nicht in unserer Macht, den Verlust von geliebten Menschen zu verhindern. Noch viel weniger sind wir dazu in der Lage Glück zu konservieren. Wir sind allzeit vom Scheitern bedroht "Müde \ wirst Du \ auf dem Weg \ zum Brunnen \...", so drückt es Barbara Erdmann in dem Gedicht Auf dem Weg aus. Und doch erwächst für diejenigen, die sich noch aufs Hören der leisen Töne verstehen, die auch dazu bereit sind, den kleinen Dingen Aufmerksamkeit zu schenken, ein Sinn für das Wesentliche. Man wird die Lyrik der Autorin nicht lesen können, ohne des Öfteren laut zu sich selber zu sagen: "Meine Güte, das kenne ich!"

"Kein anderer Ort \ unter den Himmeln \ der mir verdeutlicht \ wie unwichtig ich bin \...", diese Zeilen aus dem Gedicht Meer berühren unsere tiefsten Ängste vor Einsamkeit und Verlassenwerden - und doch haben wir es in der Hand, ob aus unserem Leben eine Hölle wird oder ob es uns gelingt, dieses Geschenk sinnvoll zu nutzen. Barbara Erdmann berührt mit ihrer Lyrik, die ohne hohles Pathos auskommt, den tiefsten Grund unserer Seele.




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