Buchkritik -- Franz-Josef Wetz -- Exzesse

Umschlagfoto, Buchkritik, Franz-Josef Wetz, Exzesse, InKulturA "Make love, not war", dieser Slogan der Antivietnamkriegsbewegung ist nach wie vor ein Desiderat bezüglich menschlichen Aggressionsverhaltens. Die Spezies Mensch besitzt ein durch die Geschichte ihrer Entwicklung konstantes Merkmal, ihr zur Gewalt neigendes Verhalten. Auch wenn derzeit der zivilisatorische Firnis zwar dünn, aber generell intakt scheint, kommt es regelmäßig zu gewalttätigem Verhalten, dessen Gründe nicht selten banal sind und die Gesellschaft ratlos hinterlassen.

Jeder Versuch, die Menschen von ihrem aggressiven biologischen Erbe zu trennen, muss als gescheitert angesehen werden. Jedem noch so repressivem System ist nicht gelungen, worin eine freie Gesellschaft erst recht keinen Erfolg haben kann. Gewalt scheint tief in unserer genetischen Disposition angelegt, dass es, so jedenfalls Franz-Josef Wetz in seinem Buch "Exzesse", besser wäre, den "wilden Leidenschaften" genügend Freiräume zu gewähren, die sozial verträglich sind und das Ausleben der individuellen dunklen Seiten ermöglichen.

Gewalt, Hass und Aggression haben, so Wetz im ersten Teil seiner Untersuchung, mannigfach Gründe. Fanatismus, egal ob religiöser oder politischer Natur, jungmännlicher Testosteronüberschuss oder die Verlockung des Normalmenschen, bei Abwesenheit von Kontrolle mal eben über die Stränge zu schlagen, die gewalttätigen Triebe lassen sich zwar mehr oder weniger zügeln, doch latent schlummern sie immer unter der Oberfläche menschlicher Existenz, bereit, jederzeit die Kontrolle zu übernehmen.

Zwar ist es den modernen Gesellschaften weitgehend gelungen, Gewalt zu ächten und das soziale Miteinander größtenteils ohne Anwendung physischer Gewalt zu gestalten. Trotzdem, so der Autor im zweiten Teil seines Buches, bricht das aggressive Erbe des Menschen immer wieder hervor.

Dabei, Wetz weist darauf hin, ist die Darstellung von Gewalt ein wesentlicher Bestandteil der modernen Kultur- und Freizeitindustrie. Computerspiele, Filme und Literatur wären ohne oft exorbitante Szenen angewandter Grausamkeit anscheinend kommerziell nicht erfolgreich. Was einmal mehr die These des Autors unterstützt, dass der Mensch, dessen Domestizierung als gescheitert gelten muss, Mittel und Wege benötigt, sein biologisches Erbe gesellschaftskonform auszuleben.

Wie das funktionieren könnte, beschreibt der dritte Teil, der eine "Fröhliche Wissenschaft" gesellschaftlich akzeptierten Aggressionsabbaus skizziert. "Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll", gesungen in den 70er Jahren von Ian Dury, wäre das Motto, unter dem das Fazit des Buches zu ziehen ist. Der Mensch sucht keine religiöse Verzückung oder befindet sich auf dem Weg in die Transzendenz, sondern will im Hier und Heute, nennen wir es ruhig so, seinen Spaß haben.

Das ist weder verwerflich noch oberflächliches Leben, sondern der einzig gangbare Weg, den dunklen Seiten der menschlichen Psyche einen Ausweg zu geben. Der Möglichkeiten gibt es viele, das zeigt Franz-Josef Wetz, und jeder kann sich irgendwo und irgendwie in den temporären Trubel der Selbst- und Seinsvergessenheit einreihen und sich, warum nicht, bis an seine körperlichen Grenzen bringen.

Eine Frage bleibt allerdings offen: können diese vielfältigen Möglichkeiten, sich selber und die Gesellschaft überhaupt aushalten zu können, die Feinde der modernen Welt davon abhalten, an ihren fanatischen Ziele festzuhalten? Befeuert nicht diese, in deren Augen, Dekadenz überhaupt erst deren Kampf gegen ein freies und selbstbestimmtes Leben?




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Veröffentlicht am 22. November 2016