Buchkritik -- Eugen Ruge -- Follower

Umschlagfoto, Buchkritik, Eugen Ruge, Follower , InKulturA 2055, nicht mehr lange, dann leben wir alle in einer Welt, deren Vernetzung die Trennung von privatem und öffentlichem Leben obsolet macht. Der Zeitgeist ist digital. Selbstoptimierung, immerwährende Informationszufuhr, gereinigte Gendersprache - alles andere ist "pisi", kurz, all das, von dem der Konsument träumt, ist dann alltäglich und normal.

In dieser schönen, neuen Welt versucht Nio Schulz, immerhin bereits neununddreißig Jahre alt, auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Implantierte Optimierungschips, die Brille als Kommunikations- und Ortungszentrale, nach Maß und Wunschvorstellung der Eltern genetisch optimierte Kinder, ausgetragen von teuren ukrainischen Leihmüttern, die Welt ist aus den Fugen geraten - und niemand bemerkt es, weil alle im globalen System des digitalen Wahnsinns mitschwimmen.

Schulz befindet sich in HTUA-China - die Welt ist unterteilt in diverse Zonen - und versucht das neue Produkt seiner Firma zu vermarkten: "true barefoot running". Dahinter steckt, behaupten böse Zungen, das ultimative Überwachungsprogramm. Die Menschen, so auch Nio, sind dank Big Data jederzeit lokalisierbar und in wenigen Sekunden kann von jeder Behörde ein individuelles Profil erstellt werden. Geheimnisse sind verdächtig und ebenfalls implantierte Gesundheitsscanner messen die Körperwerte und füttern das globale Netzwerk mit weiteren, auswert- und vergleichbaren Daten.

Eugen Ruge beschreibt in seinem Roman "Follower" eine Welt ohne Individualismus. Abhängig von "Feeds", "Backups" und "intelligenten Implantaten" ist der Einzelne freiwillig der Masse der "User" beigetreten und damit zum Opfer des technisch Machbaren geworden. Atemlos, schnell und mit harten Schnitten erzählt Ruge von dieser Dystopie einer nicht mehr fernen Zukunft.

Ebenso wie sich die Grenzen zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft verwischt haben, gibt es keine Trennung mehr zwischen Politik und Wirtschaft. Alles geht im Strom der Daten unter und der Weltbürger definiert sich als "ich konsumiere und folge, also bin ich". Abseits der artifiziellen Welt - in HTUA-China ist der Himmel von künstlichem Blau - scheint es nichts von Bedeutung zu geben. Doch als Schulz vom Tod seines Großvaters erfährt, beginnt er, am System zu zweifeln und, die Behörden sind ratlos, er verschwindet vom digitalen Radar.

Diesem künstlichen Leben hält Ruge den Spiegel der Evolution, ja des Universums vor, dessen Entwicklung bis zum Punkt 2055 er nachzeichnet. Zusammen mit dem "Stammbaum" von Nio erhält der Roman eine Kontinuität, die im Gegensatz zur Unruhe, zum Chaos der Gegenwart, nicht vergessen, man schreibt das Jahr 2055, seltsam anachronistisch anmutet, denn, so der Autor, es war immerhin ein galaktischer Zufall, dass auf der Erde überhaupt intelligentes Leben entstanden ist, das sich nach Jahrmillionen der Entwicklung im Zünden einer Klimabombe in Australien ad absurdum führt.




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Veröffentlicht am 11. Oktober 2016