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Buchkritik -- Yuval Noah Harari -- Nexus

Umschlagfoto, Buchkritik, Yuval Noah Harari, Nexus, InKulturA Yuval Harari zählt zu jenen Autoren, die eher Bekanntes zusammenfassen und es in neuen, teils vereinfachten Kontexten präsentieren, als gänzlich neue Ideen zu entwickeln. Diese Vorgehensweise ist in seinem Buch „Nexus: Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur Künstlichen Intelligenz“ sehr deutlich. Harari gelingt es hier, bekannte historische Fakten und Theorien in einem großen Überblick darzustellen, wobei er eine sehr weite Spanne der Menschheitsgeschichte abdeckt. Er unternimmt einen Parforceritt durch Mesopotamien, das Mittelalter, die Aufklärung bis hin zu den Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Der Leser wird mit Themen konfrontiert, die er in der Regel bereits kennt, und es entsteht ein starker Eindruck des Déjà-vu. Diese Neuaufbereitung von Altbekanntem führt dazu, dass das Buch sich eher wie eine historische Zusammenfassung liest als wie ein Werk, das eine neue Perspektive oder bahnbrechende Einsichten bietet.

Der erste Kritikpunkt liegt somit in der mangelnden Originalität der Inhalte. Harari formuliert Gedanken, die längst zum Allgemeingut gehören, in neuen Worten, ohne ihnen tiefere Einsichten hinzuzufügen. Das Konzept der „Informationsnetzwerke“, das als Kernthese des Buches dienen soll, bleibt dabei vage und unzureichend definiert. Statt einer klaren und differenzierten Analyse wird die Idee als pauschaler Begriff verwendet, um unterschiedlichste historische Phänomene zu erklären. So entsteht der Eindruck, dass Harari versucht, die Geschichte in ein zu enges theoretisches Korsett zu zwängen, das der Komplexität der behandelten Themen nicht gerecht wird.

Der zweite Teil des Buches widmet sich dann der aktuellen Entwicklung von sozialen Medien und Künstlicher Intelligenz als neuen Arten von Informationsnetzwerken. Hier verliert sich Harari jedoch in Allgemeinplätzen. Viele der beschriebenen Phänomene sind bereits seit Jahren Gegenstand öffentlicher Debatten und wurden in zahllosen Artikeln, Essays und Blogbeiträgen ausführlich behandelt. Es stellt sich die Frage, ob es wirklich über 650 Seiten braucht, um festzustellen, dass soziale Medien und KI die Art und Weise, wie Informationen verbreitet und verarbeitet werden, verändern. Hararis Ausführungen wirken hier aufgebläht und oft trivial.

Im dritten Teil wird das Buch spekulativ. Harari beschreibt mögliche Szenarien, wie unterschiedliche Gesellschaften mit den Herausforderungen der KI und der Informationsverbreitung umgehen könnten. Doch die vielen „vielleicht“, „könnte“ und „würde“ machen deutlich, dass Harari hier wenig Neues zu bieten hat. Die Unsicherheit in seinen Ausführungen ist symptomatisch für eine Debatte, die längst von anderen wie Ray Kurzweil oder Nick Bostrom in ähnlicher Form geführt wurde. Auch hier bleibt das Buch eher oberflächlich und bietet keine tieferen Erkenntnisse.

Das eigentliche Kernproblem des Buches liegt jedoch in Hararis unreflektierter Verherrlichung westlicher Institutionen, denen er „selbstkorrigierende Mechanismen“ zuschreibt. Laut Harari führen Universitäten, Medien und gewählte Vertreter in westlichen Demokratien tendenziell zur Wahrheit, während autoritäre Regime wie das von Stalin oder heutige Systeme wie der Iran oder Russland die Wahrheit gezielt unterdrücken.

Diese Sichtweise ist nicht nur vereinfachend, sondern verkennt auch die deutlichen Schwächen westlicher Institutionen. Selbst in Demokratien werden Wahrheit und Meinungsvielfalt häufig durch wirtschaftliche und politische Interessen eingeschränkt. Ein Beispiel: Wie unabhängig können Universitäten wirklich sein, wenn sie von Großspendern finanziert werden, die möglicherweise bestimmte Ansichten nicht teilen? Harari ignoriert diese Ambivalenzen weitgehend und stellt westliche Systeme als fast idealtypische Modelle dar, was die Glaubwürdigkeit seiner Analyse schmälert.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Hararis Umgang mit dem Thema „Fake News“. Während er die Gefahr von Falschinformationen durch Künstliche Intelligenz betont, übersieht er die Tatsache, dass die Verbreitung von Falschinformationen längst ein fester Bestandteil politischer Strategien ist – und zwar nicht nur in autoritären Staaten, sondern auch in westlichen Demokratien. Das Beispiel der Invasion im Irak, die unter dem Vorwand der „Demokratieverbreitung“ stattfand, zeigt deutlich, dass Fake News nicht immer erkannt oder geahndet werden, wenn sie bestimmten politischen Interessen dienen. Hararis Glaube an selbstkorrigierende Mechanismen erweist sich hier als naiv, da diese Mechanismen in der Realität oft durch Machtstrukturen eingeschränkt werden.

Fazit: Harari liefert mit „Nexus“ zwar eine fleißige Zusammenstellung bekannter Fakten und Theorien, doch wirklich neue Einsichten fehlen. Sein Konzept der „Informationsnetzwerke“ bleibt unterentwickelt, und seine Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen ist von Banalitäten und Allgemeinplätzen durchzogen. Fünf Punkte für das geschickte Aufbereiten des Bekannten, aber keinen für die inhaltliche Tiefe oder Originalität.

Ironische Schlussbemerkung. Dank Yuval Harari wissen wir endlich, was ein Buch ist:

„Ein Buch ist ein Block von Texten – zum Beispiel Kapiteln, Erzählungen, Rezepten oder Briefen –, die fest zusammengehören und von denen es viele identische Exemplare gibt.“

Echt jetzt? Trotzdem vielen Dank!




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Veröffentlicht am 5. Oktober 2024