Helena Graf -- „Guten Tag kleines Schweinchen!“ - Kritischer Blick auf eine Janosch-Kinderbuchgeschichte

Umschlagfoto  -- Helena Graf  --  „Guten Tag kleines Schweinchen!“ - Kritischer Blick auf eine Janosch-Kinderbuchgeschichte Kinder sind längst ins Visier von Unternehmen und deren Werbestrategien geraten. Die Hersteller von Kinderspielzeug, Kinderbüchern und Computern haben erkannt, dass mit den Wünschen der kleinen und großen Kinder gute Geschäfte zu machen sind. Bereits in frühestem Alter findet sowohl eine Markenbindung als auch die Verinnerlichung bestimmter Denk- und Verhaltensmuster statt. Ginge es ausschließlich um ersteres, die Bindung an eine Marke, so könnte man das noch als Spielregel eines hemmungslos agierenden Kapitalismus werten - immer im Bewußtsein darüber, dass dadurch diejenigen, die nicht über die notwendigen finanziellen Mittel zur Erwerbung der "Marke" verfügen, durch den Nichtkonsum zu Außenseitern werden - so muss der Einfluss auf die geistige Entwicklung von Kindern durch unreflektierte oder gar mit voller Absicht lancierte Manipulationen kritisch hinterfragt werden.

Hier setzt die Untersuchung von Helena Graf ein. Ausgehend von einer differenzierten Bewertung der Kinderbuchgeschichte "Guten Tag kleines Schweinchen!" von dem bei vielen Eltern nicht unumstrittenen Kinderbuchautor Janosch, gelangt die Autorin zu einer harschen Kritik an der Sexualisierung und Pornografisierung der Gesellschaft.

Kein ernstzunehmender Pädagoge oder Erziehungswissenschaftler bestreitet mehr den sehr früh einsetzenden Einfluss der Außenwelt auf die Gesamtentwicklung des Kindes. Desto wichtiger erscheint es, alles zu unterlassen, was dieser Entfaltung der geistigen, moralischen und noch viel wichtiger, der sozialen Kompetenzen und gesellschaftlich akzeptierten Wertvorstellungen entgegenstehen könnte.

Leider, und das beweist diese kritische Wertung von Helena Graf gegenüber diesem Kinderbuch, ist vieles von dem, was Autoren produzieren und Verlage bewerben, nichts weniger als ein Ideentransport von gängigen und in der Regel schädlichen Rollenfixierungen, die, wenn sie nicht gemeinsam mit verantwortungsbewußten Eltern oder Beziehungspersonen reflektierend entlarvt werden, zu einer geschlechtsspezifischen Verwirrung mit fatalen Folgen für die Zukunft der betroffenen Kinder führen kann.

So ist der erste Teil des Buches dann auch eine genaue text- und bildimmanente Interpretation dieses bei vielen Eltern und Kindern so beliebten Buches. Man muss nicht der Meinung sein, dass sich hinter jedem Baum ein Räuber versteckt, um in der Analyse von Helena Graf ein erschreckendes Muster von fragwürdigen Verhaltenszuweisungen in diesem Kinderbuch zu entdecken.

So ist das kleine Schweinchen eine weiblich Figur, die lasziv und unsauber - letzteres in durchaus doppeldeutiger und sexueller Konnotation - in die (Männer)Beziehung zwischen dem kleinen Tiger und dem Bären tritt und die beiden entfremdet. Nicht nur die Farbe - rot - der Kleidung des kleinen Schweinchens signalisiert eine eher frauenfeindliche Einstellung, sondern auch die Körperhaltung, die, mal auf dem Rücken liegend, mal mit nacktem und sichtbaren Hinterteil im Wasser, eine bedenkliche und hoch problematische Information über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern transportiert.

Nun mag man dagegen einwenden, dass die Zielgruppe dieses Kinderbuches noch nicht dazu in der Lage ist, die eben genannten Assoziationen nachzuvollziehen. Das ist zweifellos korrekt aber trotzdem setzen sich durch eine unreflektierte Perzeption bereits in frühen Jahren spätere Verhaltens- und Betrachtungsmuster fest.

An dieser Stelle leitet die Autorin den zweiten Teil ihrer Untersuchung ein und bringt die, aufgrund frühzeitiger Rollenfestlegung durch perpetuierte Klischeewahrnehmung, gesellschaftlichen Konsequenzen unreflektierter Geschlechterbeziehungen zur Sprache. Die zunehmende Sexualisierung der Gesellschaft ist evident. Kaum ein Produkt für vermeintlich männliche Zielgruppen kommt ohne die Darstellung weiblicher Körper aus. Das werden perfekte Figuren - mit Hilfe von Bildbearbeitungsprogrammen - stilisiert. Da mutieren Automobile der finanziellen Oberklasse zu Phalli, an denen sich Frauen schon mal reiben. Da hat jeder Bossbesprenkelte Mann einen Harem von ihm zu Füßen liegenden Frauen. Oftmals sind wir gar nicht mehr dazu in der Lage, all die sexistischen Werbekampagnen bewußt zur Kenntnis zu nehmen, so niedrig und abgestumpft ist inzwischen die gesellschaftlich akzeptierte Hemmschwelle.

Nehmen schon die Erwachsenen aufgrund mangelnder Sensibilität, bzw. abgestumpfter Wahrnehmung diese versexten und präpornografisierten Mechanismen nicht mehr ausdrücklich wahr, wie schwer muss es dann Kindern fallen, sich diesbezüglich zu orientieren. Kinderbuchgeschichten wie "Guten Tag kleines Schweinchen!" von Janosch, alias Horst Eckert, stiften dann eher Verwirrung als Freude.

Helena Grafs Analyse beschreibt ein gesellschaftliches Problem, dessen Auswirkungen bereits jetzt in Form neuer Veröffentlichungswege im Internet sichtbar werden. Der Einfluß der Eltern wird durch virtuelle Peergroups sukzessive ausgehebelt - ohne nennenswerten Widerstand seitens der Verantwortlichen. An einigen Stellen, wie z. B. einer erweiterten Untersuchung über die Marktmechanismen einer sexkonnotierten Werbung und die daraus resultierenden Machtphantasien der männlichen Käufer, wäre eine inhaltliche Vertiefung von Vorteil gewesen. Doch das hätte wahrscheinlich den Umfang dieser kritischen Auseinandersetzung gesprengt, da man ohne weiteres zu jedem von der Autorin angesprochenen Problem zahlreiche Bände veröffentlichen könnte. Das interessierte Lesepublikum hat anhand der Literaturangaben jedoch die Möglichkeit, weiterführende Informationen zu erhalten.




Meine Bewertung:Bewertung


WeltOnline zum 80. Geburtstag von Janosch und warum er die Tigerente für "Mist" hält.


Nachtrag am 21.08.2012

Das Buch liegt jetzt in einer aktualisierten Ausgabe vor. Diese enthält zahlreiche neue Aspekte. Die Schlussbeiträge zu Teil B wurden komplett überarbeitet.

Helena Graf, Kritischer Blick auf ein Kinderbuch von Janosch und auf die Werbestrategien in den Medien, 2012, 978-3-8301-1553-3