Umschlagfoto  -- Eduard Hernsheim Wenn über den Kolonialismus des Deutschen Kaiserreiches gesprochen wird, dann ist oftmals nur die Rede von den Kolonien in Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika. Dass Deutschland jedoch auch Kolonien bzw. Schutzgebiete im westlichen Pazifik besaß, entgeht heute der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Jakob Anderhandt hat ein lange währendes Desiderat erfüllt und mit seiner monumentalen Biographie über Eduard Hernsheim und seine Handelsgesellschaft Hernsheim & Co eine Lücke in der historischen Forschung über den deutschen Südseehandel geschlossen.

Das 1875 von den Brüdern Franz und Eduard Hernsheim gegründete Unternehmen war ein Pionierunternehmen des deutschen Außenhandels in einem Teil von Ozeanien, der grob gezeichnet zwischen Australien und China liegt. Kurioserweise war eine im Jahr 1873 stattgehabte Schiffshavarie vor der japanischen Insel Typinsan der auslösende Faktor für die ersten Stationsgründungen Eduard Hernsheims. Bereits dies wirft ein bezeichnendes Licht auf den Unternehmer, dessen herausragende Eigenschaft die Suche nach dem jeweils Bestmöglichen unter Verwendung des gerade Vorhandenen war.

Bevor Hernsheim seinen gewinnbringenden Handel mit Kopra begann (getrocknetem Kernfleisch von Kokosnüssen, aus dem in Europa Öl gepreßt wurde), war er weniger erfolgreich in den Import von Seegurken nach Hongkong involviert, einer chinesischen Spezialität und Delikatesse. Mit dem später von ihm betriebenen Kopraexport stieß er gerade in Deutschland in eine Bedarfslücke, denn das gewonnene Öl war als geruchsfreier Brennstoff für Lampen und die Herstellung von Seifen und Kerzen ein begehrter Artikel des aufstrebenden Bürgertums und der jungen Industriewirtschaft.

Auf seinen Handels- und Erkundungsfahrten im westlichen Stillen Ozean errichtete Hernsheim zwischen 1876 und 1882 zahlreiche Stationen im heutigen Bismarckarchipel und auf den Marshallinseln und erweiterte so das anfänglich auf die Karolinen beschränkte Unternehmen auf beträchtliche Weise. Bereits in dieser Phase unterschied er sich maßgeblich von anderen Interessensvertretern deutscher Kolonialpolitik, denn Hernsheims Fernziel war keine koloniale Fremdherrschaft, sondern die Errichtung einer Handelskolonie, in der die Pazifikinsulaner, modern ausgedrückt, Geschäftspartner waren und nicht zu Objekten fremder Wirtschaftsinteressen herabgewürdigt wurden.

In zwei Bänden und auf über 1200 Seiten erzählt Jakob Anderhandt die faszinierende Geschichte eines deutschen Kaufmanns. Hernsheim, der sich besonders von den in der Südsee glücksuchenden Abenteurern durch seine – für die damalige Zeit – fortschrittlichen Ideen unterschied, gelang es mit unternehmerischer Energie und Tatkraft, einen überaus lukrativen Handel zu etablieren.

Der Autor zeigt dem Leser einen Menschen, der sich überdies nicht scheute, gegen das nach den ersten Flaggenhissungen in der Südsee praktizierte Verfahren des Menschenhandels mit Insulanern zwecks Zwangsarbeit auf Plantagen zu protestieren. Hernsheim war ein beredter Gegner einer solchen Spätform der Sklaverei und seine Firmenpolitik den damals herrschenden Umständen weit voraus.

Jakob Anderhandt hat einen nahezu in Vergessenheit geratenen Teil deutscher Kolonialbestrebungen spannend ins historische Bewusstsein zurückgerufen. In seinen zwei Bänden über die Handelsunternehmungen Eduard Hernsheims erzählt der Autor, manchmal mit wahrhaft epischer Diktion, die Lebensgeschichte eines deutschen Kaufmanns, dessen Ideen und gestalterisches Vermögen, dessen Verantwortungsbewusstsein und politisches Engagement heutigen "Managern" ein Vorbild sein können.

Was für ein herausragendes Werk plastisch geschilderter Geschichte, das man wegen seines maßstabsetzenden Charakters als Standardwerk bezeichnen muss. Nicht nur für Freunde der Südsee eine profunde historische Quelle. Abgerundet wird dieses vorzügliche Projekt durch einen umfangreichen und bestens organisierten Anhang.




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