Buchkritik -- Christian Kracht -- Imperium

Umschlagfoto  -- Christian Kracht  --  Imperium Was ist nur an dem wohl ersten deutschen Hippie August Engelhardt dran, dass jetzt auch Christian Kracht diesen Aussteiger aus der für ihn zu engen Welt des wilhelminischen Deutschland als Vorbild für seinen neuen Roman Imperium benutzt? Engelhardt,1875 in Nürnberg geboren und 1919 auf Kabakon, einer kleinen Insel in dem zum Deutschen Reich gehörenden Papua-Neuguinea gestorben, bewirtschaftete eine vorhandene Kokosnussplantage und entwickelte dort den "Kokovorismus", eine neuheidnische Heilslehre.

Bereits lange vor der angewandten esoterischen Weltflucht gut betuchter Wohlstandsflüchtlinge etablierte Engelhardt eine Aussteigerkolonie, die in der Heimat auf großes Interesse stieß. Durchgeknallt, wie die meisten Aussteiger, war für ihn die Sonne der Quell allen Lebens. Logischerweise war Bekleidung für die Teilhabe an diesem göttlichen Quell nur hinderlich und so wurde die Pazifik-Freikörperkultur geboren. Als Ernährung kam einzig die Kokosnuss infrage, denn als die am höchsten wachsende Frucht besaß sie, laut dem ersten Hippie, den größten Anteil an Sonnenenergie. Die gesundheitlichen Auswirkungen einer Mangelernährung ließen dann auch nicht lange auf sich warten.

Christian Kracht hat aus der tragikomischen Lebensgeschichte von August Engelhardt einen fulminanten und sprachgewaltigen Roman gemacht. So ganz abseits der sonst so gewohnten Bauchnabelschau deutscher Autoren lässt es Kracht buchstäblich so richtig krachen. Fabulierkunst trifft auf stilistische Brillanz, die, keiner hat es gemerkt, den in dieser Republik herrschenden Zeitgeist persifliert.

Die Flucht des Titelhelden aus dem wilhelminischen Deutschland, das ihm zu eng, zu spießig und zu selbstzufrieden daherkommt, ist in erster Linie immer noch eine Flucht vor sich selber. Da ist es dann auch kein Wunder, wenn das gelobte Land, die vermeintliche Südseeidylle, sich als tückisch und trügerisch erweist. Wer, wie der kauzige Aussteiger des Romans, elf Überseekisten mit 1200 Büchern auf seiner Zivilisationsflucht mit sich führt, der will nichts weniger als aussteigen, der sucht nur ein ruhiges Plätzchen, um seinen Spleen zu kultivieren.

Welch ein munteres Treiben beschreibt Kracht, in was für irrsinnige Situationen lässt der Autor seinen Sonnen- und Sinnsucher geraten. Wie einen alten, unbequemen Mantel hat der neue "Kokovore" die Zivilisation scheinbar hinter sich gelassen, nur um feststellen zu müssen, dass sie ihm auf Schritt und Tritt wieder begegnet. Da hilft es auch nicht, wenn er seine Körperpflege vollkommen einstellt - Christian Kracht beschreibt mit großem Ekelfaktor den Wildwuchs von Zeh- und Fingernägeln - er ist und bleibt ein Kind der Zivilisation.

Ist das Buch ein politisches Buch? Nichts weniger als das. Es ist vielmehr eine literarische Verarsche von kulturmüden Sinnsuchern, deren einziges Bestreben es ist, mit wenig Aufwand zu materiellem Wohlstand zu gelangen, denen es jedoch an Selbstdisziplin und charakterlicher Stärke fehlt. Ist die aktuelle Epoche etwa nicht intellektuell und politisch noch weitaus enger und rigider als es das wilhelminische Deutschland jemals war? Liegt nicht auch auf unserer Gesellschaft der Mehltau der Belanglosigkeit und der politischen Indolenz, die sich jedoch gleichzeitig anmaßt, die politischen und moralischen Maßstäbe der Welt bestimmen zu wollen? Soll nicht gerade am "Grünen Wesen die Welt genesen"?

Imperium ist eine gelungene und pointierte Abrechnung mit einer vor Selbstzufriedenheit und Heuchelei nur so triefenden Gesellschaft, aber auch eine Satire über eben die Flüchtlinge aus dieser Situation. Den Kopf voll wirrer Ideen, wollen die Aussteiger - die Weltverbesserer - eine neue Gesellschaft gründen, immer jedoch vergessend, dass das Kleingeistige in ihrem eigenen Hirn steckt und eine Flucht aufgrund dessen niemals möglich ist.

Das Mediokre gebärt ebenfalls Mediokres. Krachts Aussteiger flieht zum Schluss vor sich selber in den Dschungel und wird erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von einer neuen Zeit, die sich im US-amerikanischen Globalkapitalismus manifestiert, wieder gefunden. Imperium ist ein Spiegel, in dem sich besonders der herrschende Zeitgeist reflektiert.

Es wäre eine feine Sache, wenn die modernen Apostel und selbst ernannten Gurus, aber auch die grünen politischen Rattenfänger diesen Roman lesen würden. Doch leider nehmen sich diese Typen zu wichtig, um einmal herzlich über sich selber lachen zu können. Das muss dann doch ein Schriftsteller vom Kaliber eines Christian Kracht erledigen. Gut so!




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