Sachlichkeit, unaufgeregte Diskussionen, die Fähigkeit und der Wille zum Anhören gegenteiliger Meinungen, das manchmal lange Ringen um Kompromisse und, besonders vonnöten, Kenntnisse, Sachverstand und Bildung, verpackt in die Fähigkeit zu mehrsprachiger Eloquenz sind unabdingbare Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation und damit in Zeiten medial geschürter Aufregung und der damit einhergehenden Themenverkürzung zu einem Desiderat geworden.
Dabei, das schreibt die promovierte österreichische Völkerrechtlerin Karin Kneissl, die auf eine langjährige Erfahrung im diplomatischen Dienst ihres Landes verweisen kann und von Dezember 2017 bis Juni 2019 österreichische Außenministerin war, sind es diese, zugegeben leisen Dinge, die im Hintergrund politisch lauter „Statements“, derzeit vorzugsweise abgegeben auf allen Kanälen der „sozialen Medien“, das unverzichtbare diplomatische Handwerkszeug ausmachen.
Doch, die Frage muss erlaubt sein und wird von der Autorin auch gestellt, hat die Diplomatie, die Kunst des Verhandelns, mit dem Ziel, divergierende politische oder wirtschaftliche Interessen von Staaten oder, in einer sich immer mehr atomisierenden Welt, die sich entgegen der propagierten Globalisierung längst wieder in Separatismus und Abgrenzung gefällt, auch Gruppen ethnischer oder religiöser Gestalt, gewaltfrei zu lösen, überhaupt noch eine Chance? Ist sie, überspitzt ausgedrückt, überhaupt noch zeitgemäß?
Wie ist es also bestellt um „Die Kunst des Dialogs in unsicheren Zeiten“, so der Untertitel des Buches von Karin Kneissl, die darin in drei Teilen diese Thematik umkreist und deren Zielgruppe(n) aus „...Menschen, die beruflich oder aus anderen Gründen in dieser Welt der Diplomatie ein wenig beheimatet sind“ und anderen, „für die es sich [...] um einen Lebensbereich handelt, der mit ihrem eigenen [...] nichts gemein hat, die sich aber für Politik interessieren“ bestehen.
Im Fokus des ersten Teils steht die „Bestandsaufnahme der Diplomatie: zwischen historischem Anspruch und politischer Wirklichkeit“. Eingeleitet durch persönliche Erfahrungen der Autorin, die sich wohltuend undiplomatisch an den seit Jahren eingeschlichenen Modalitäten und Verhaltensweisen reibt, ist es ein historischer Überblick zwischen Erfolg und Scheitern diplomatischer Bemühungen.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit den „Internationalen Beziehung zwischen Integration und Fragmentierung“ und den Herausforderungen, die eine sich zunehmend multipolar organisierende Welt mit sich bringt.
Der letzte Abschnitt des Buches, der von der „Neuerfindung des diplomatischen Handwerks“ handelt, ist eine, salopp formuliert, Stellenbeschreibung aus der Feder einer Frau, die das diplomatische Handwerk aus dem Effeff kennt und deshalb eine mächtige Stimme ist, die derzeitige Missstände und Fehlentwicklungen des diplomatischen Parketts benennen kann.
Wenn, wie Karin Kneissl es nicht müde zu betonen, gerade auf EU-Ebene das gegenseitige Vorlesen von „Positionspapieren“ zielführende Interaktionen verhindert und anstelle konstruktiver Gespräche „Twitteritis betrieben wird, ist es, so die Autorin, höchste Zeit, diplomatische Tugenden und die dazu notwendigen individuellen Voraussetzungen zu (re)aktivieren. „Diplomatie – Macht – Geschichte“ ist ein mit viel Herzblut und Engagement geschriebenes Buch über politische Kommunikation auch in schweren Zeiten. Eben solche stehen uns, stehen der Welt bevor. Der rasante Aufstieg Chinas nicht nur als Handelspartner, sondern auch als Exporteur globalen Machtanspruchs verpackt in ökonomisch-finanziellen Projekten in Afrika und Europa. Der nicht ganz so rasante Abschied der USA von seiner weltpolitischen Führungsrolle und ein wiedererstarkendes Russland, mit dem konstruktiv zusammenarbeiten sich die EU permanent weigert.
Nicht zu vergessen der sich ausbreitende Machtanspruch eines Islam, dessen Verständnis der Menschenrechte sich in wesentlichen Punkten von denen der globalen Gemeinschaft unterscheidet und der nicht erkennen lässt, seine Positionen diesbezüglich verändern zu wollen.
Keine Frage: Politiker gefallen sich in der Rolle medialer Aushängeschilder, doch ihr oft – und von der Autorin beklagt – von externen Beratern vorgegebener Terminplan lässt sich nicht mit der notwendigen und oft zähen „Wühlarbeit“ sich langsam annähernder Positionen vereinbaren. Das sollte wieder die Diplomatie übernehmen. Eine sich mehr und mehr zersplitternde Welt mit zunehmend divergierenden Interessen hat das nötiger denn je.
Es ist jedoch die Frage, ob der von Karin Kneissl ausgedrückte vorsichtige Optimismus bezüglich einer Revitalisierung der Diplomatie in Zeiten, die sich mehr und mehr und mehr das Mantra „wir und die anderen“ auf ihre Fahnen heftet, realistisch ist. Dafür bedarf es, so die Autorin, „… der richtigen Persönlichkeiten zur rechten Zeit, die mutig und erfahren zugleich sind“. Die aber zu finden, dürfte in Zeiten der forciert betriebenen Agenda des „Great Reset“ schwierig sein. Zeiten in denen eine kleine, aber gut vernetzte Clique von Milliardären und Nichtregierungsorganisation – allesamt demokratisch nicht legitimiert – über die Zukunft der Welt entscheiden will.
„Diplomatie – Macht – Geschichte“ ist, wie alle Bücher der Autorin, mit profunder Sachkenntnis geschrieben und eine exzellente Lektüre für diejenigen, die gerne einen Blick über den Tellerrand der Tagespolitik hinaus werfen wollen.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 19. November 2020