Buchkritik -- Michael Lehofer -- Mit mir sein

Umschlagfoto, Buchkritik, Michael Lehofer, Mit mir sein, InKulturA Artgerechte Selbsthaltung, in Bezug auf den Menschen eine etwas schräg anmutende Formulierung, doch im Kern ein Ratschlag für eine erfolgreiche Lebensführung, so zumindest sieht es Michael Lehofer in seinem Buch "Mit mir sein" und der muss es wissen, denn seine Profession ist die angewandte Lebenshilfe in Form der Psychotherapie.

"Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst", so zu lesen bei Matthäus 19.19. Steht hier noch mein Gegenüber im Fokus, dem das Ich den Vortritt lässt, so dreht Michael Lehofer den Spieß um und fordert "Lieber erst einmal dich selber, dann klappt es auch mit deinem Nächsten". Was in Zeiten des Teamgeists und der kollektiven Wohlfühlverordnung à la "Gefällt mir" Button nach Egoismus klingt und damit im Sinn moderner Lebensbewältigungsstrategien als absolut uncool erscheint, ist jedoch die, so der Untertitel des Buches, "Basis für Begegnung und Beziehung".

Nicht wenige Zeitgenossen dürften das Leben als Zumutung empfinden, dergestalt, dass sich das Gegenüber partout nicht meinen Vorstellungen anpassen will. Insofern sind nicht wenige von uns Narzissten und Egomanen, die sich ihr Ich konstruieren und mit allerlei Statussymbolen zu verfestigen suchen. Dabei sind es, Michael Lehofer beschreibt es freilich dezenter, arme Teufel, die nicht fähig sind, sich selber zu lieben.

Doch die Liebe zu sich selbst, das Ruhen in der eigenen Person ist nicht einfach. Immer stehen wir in einem Verhältnis zur Gesellschaft, das wir nicht immer selber bestimmen können - oder wollen. Nicht selten kollidiert das Selbstbild mit dem Bild, das der Andere oder die Anderen sich von uns machen. Weicht Letzteres von der individuellen Einschätzung ab, beginnen im Kern die Probleme. Es sei denn, der Autor gibt hier zahlreiche Hilfestellungen, der Mensch findet den Mut, sein Verhältnis zu sich selbst auf den Prüfstand zu stellen und Korrekturen vorzunehmen.

Das ist nicht einfach und erfordert jede Menge Selbstdisziplin und die Fähigkeit und Bereitschaft, sich von liebgewordenen, aber hinderlichen Lebenslügen zu trennen. Es sind die manchmal gar nicht so kleinen Dinge, die, wenn sie begonnen haben, ein Eigenleben zu führen, unsere Fähigkeit zur Selbstliebe zu untergraben. Der Autor führt einen Katalog – der Leser mag ihn beliebig erweitern - von Möglichkeiten an, das Verhältnis zur eigenen Person zu überprüfen.

Es ist das große Ja zu mir selber, das auch negativ konnotierte Dinge wie Alleinsein und Angst als zugehörig zu mir akzeptiert. Vieles was Michael Lehofer in seinen Kanon der Zugehörigkeit zur Selbstliebe hineingenommen hat, ist längst dem Zeitgeist geopfert worden. Demut, Verzicht, Selbstverantwortung und Reinheit mögen aus dem "modernen" Wortschatz verschwunden sein, das bedeutet jedoch nicht, dass wir auf der Ebene geistiger Hygiene auf sie verzichten können.

"Mit mir sein" macht abseits der üblichen Bücher für mentale Lebensberatung Mut zur Veränderung. Wir alle haben sie dringend nötig.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 17. April 2017