Buchkritik -- Michaela Behrens -- Stadtgespräche aus Neukölln

Umschlagfoto, Michaela Behrens, Stadtgespräche aus Neukölln, InKulturA Berlin-Neukölln ist, jedenfalls in der medialen Berichterstattung, ein Synonym für einen Problembezirk. Ein hoher Anteil von Beziehern sozialer Transferleistungen, gepaart mit einem auch für Berliner Verhältnisse überdurchschnittlich hohem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund, sorgt, wie im Fall der Rütli-Schule, dafür, dass Berlin-Neukölln in den Ruf eines sozialen Brennpunktes geraten ist, dessen Probleme längst nicht mehr zu bewältigen sind.

Dabei ist dieser fast im Herzen Berlins gelegene Bezirk eine Fundgrube für aufmerksame Spaziergänger, die Zeit und Muße besitzen, um diesen Kiez abseits ausgetretenen Pfade kennenzulernen. Michaela Behrens hat sich diesem ältesten Berliner Bezirk in ihrem Buch "Stadtgespräche aus Neukölln" auf eben diese Weise genähert und dabei herausgekommen ist ein Stadtführer der besonderen Art.

Bäuerliche Idylle trifft auf das Fastnobelhotel Estrel, in dem der Künstler Frank Zander seit 1995 jedes Jahr zur Weihnachtszeit Berliner Obdachlose zum Gänsebraten einlädt. Die Brüder Posin und ihre berühmten "Kunstfälschungen" sind in der Wipperstraße beheimatet und auch Deutschlands wohl bekanntester Krimineller - Arno Funke alias Dagobert - wuchs hier, an der Karl-Marx-Straße auf.

Es ist die Mischung aus Boheme, florierenden Kleingeschäften und ländlicher Ruhe, die diesen Bezirk immer schon geprägt hat und Michaela Behrens führt ihre Leser mit immer wieder aufregend neuen Aspekten und Blickwinkeln durch diesen Ur-Berliner Bezirk.

Neukölln ist ohne Frage einer der quirligsten Bezirke Berlins, der trotz all seiner existierenden Probleme eine gelungene Mischung von Stadtkultur und Lebensqualität bietet. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb zunehmend Immobilienspekulanten und finanziell gut aufgestellt Neu-Berliner diesen Kiez für sich entdeckt haben.

Die in anderen Berliner Bezirken wie z. B. Friedrichshain und Kreuzberg schon längst in vollem Gang sich befindende Verdrängung alteingesessener Anwohner beginnt sukzessive auch in Neukölln. Hoffentlich, und das kann man diesem lebendigen Stadtteil nur wünschen, erhält sich die bunte Mischung aus den verschiedensten Lebensentwürfen und manchmal skurrilen Erwerbsmöglichkeiten, die Michaela Behrens in ihrem Buch beschreibt. "Stadtgespräche aus Neukölln" hält auch für einen "eingeborenen" Berliner so manche Überraschung bereit.

Mein Tipp: Lesen und dann mitten rein ins Neuköllner Getümmel.




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Veröffentlicht am 7. Juli 2014