Buchkritik -- Rainer Mausfeld -- Hybris und Nemesis

Umschlagfoto, Buchkritik, Rainer Mausfeld, Hybris und Nemesis, InKulturA Seitdem höhere Primaten, also der Mensch, sich die Erde und Seinesgleichen untertan gemacht hat, gibt es ein Muster, daß die Geschichte wie ein Basso continuo durchzieht. Dieses besteht, lässt man den sexuellen Trieb einmal beiseite, aus zwei, die Evolutionsgeschichte des Homo sapiens bestimmenden Konstanten: das Streben nach Macht und die Gier nach materiellem Besitz. Ein Streben, daß, wird es nicht eingehegt, dafür verantwortlich ist, Gesellschaften zu zerstören.

Immer, das zeigt ein Blick in die Geschichte, waren es kleine, selbst ernannte Eliten, die es verstanden haben, ihre Legitimität von höheren Mächten, z. B. Götter oder durch Erbfolge abzuleiten. Erst der in der Aufklärung langsam sich entwickelnde Begriff der Demokratie und die daran anschließenden langjährigen Kämpfe um politische Partizipation der Bürger sollte eben diese Einhegung, die Begrenzung von Macht und Gier ermöglichen.

Rainer Mausfeld geht in seiner groß angelegten historischen Untersuchung diesem Begriff nach und stellt fest, daß es den herrschenden Eliten wieder einmal gelungen ist, sich dieser Idee zu bemächtigen und sie ihres ursprünglichen Sinns, dem egalitären Leitgedanken, zu berauben.

Die Demokratie ist wieder einmal unter die Räder gekommen, gekapert von denen, die die Bürger glauben machen wollen, daß sie bei der politischen Meinungsbildung und deren Umsetzung ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Nichts könnte von der gesellschaftlichen und ökonomischen Realität weiter entfernt sein.

Wir erleben, so Mausfeld, wie ein polit-mediales Kartell, angefeuert und finanziell unterstützt von sog. Philanthropen, deren vordergründiges und von willfährigen Medien propagiertes Ziel das Wohl der Menschheit ist, in Wirklichkeit jedoch exorbitante Gewinnmaximierung durch eine neoliberale Wirtschaftsordnung, die den Einzelnen als Anbieter seiner Arbeitskraft auf einem Markt, auf dem alle gegen alle kämpfen, betrachtet, die Demokratie sukzessive zersetzt.

Mithilfe geschickter Manipulationstechniken, dazu gehören vor allen Dingen Konsumverheißungen und die raffiniert eingesetzte Unterhaltungsindustrie, ist es gelungen, den Begriff der Demokratie zu entleeren, um anstelle dessen deren Abriss unter dem Euphemismus repräsentative Demokratie zu betreiben.

Die von den herrschenden Eliten so vehement propagierte Demokratie ist in Wirklichkeit, so der Autor, eine Scheindemokratie, die unter dem Deckmantel regelmäßiger Wahlen den Bürgern eine politische Partizipation suggeriert, die nicht existiert, sondern in Wahrheit eine Parteienoligarchie darstellt, die längst die Interessen des international agierenden Kapitals vertritt.

Demokratisch nicht legitimierte Gruppen wie NGOs, Lobbyvereine und andere, partikuläre Interessen vertretende Minderheiten haben sich den Staat zu Beute gemacht und betreiben, unterstützt vom ökonomisch-medialen Kartell, eine gefährliche Destabilisierung der Gesellschaft.

Was also tun, um die Demokratie zurückzuerobern? Dazu Rainer Mausfeld: „Die vordringlichste Aufgabe besteht mithin darin, in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens Schritt für Schritt an der Schaffung einer für einen solchen grundlegenden gesellschaftlichen Umbau fruchtbaren Atmosphäre zu arbeiten.“

Der Autor und diejenigen, deren Fähigkeit zu kritischer Analyse noch nicht aberzogen wurde, wissen darum: „Entweder beginnen wir angesichts des zivilisatorischen Abgrunds, in den uns die Entzivilisierung von Macht zu führen droht, entschlossen nach Höhlenausgängen aus dem ideologischen Gewölbe zu suchen und geeignete demokratische Schutzbalken gegen entfesselte Macht zu errichten. Oder wir finden uns mit dem Status quo gegebener Machtverhältnisse ab, schweigen weiter wie bisher und überlassen es nachfolgenden Generationen, über die Gründe unseres Nicht-Handelns und über die Gründe unseres Schweigens nachzudenken.“

Doch seien wir resignierend ehrlich, die Suche nach den Ausgängen ist nicht nur bezüglich der trägen und durch den Einfluss der (a)sozialen Medien bereits verdummten Mehrheit zum Scheitern verurteilt. Der Kampf scheint längst verloren.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 12. Februar 2024