Buchkritik -- Tanikawa Shuntarô -- minimal

Umschlagfoto, Tanikawa Shuntarô, InKulturA "Vor Tagesanbruch kam das Gedicht, in schäbige Wörter gehüllt..." So beginnt das erste Gedicht des beim Secession Verlag erschienenen Bandes mit Werken des japanischen Dichters Tanikawa Shuntarô. Es ist, gleich vorweg gesagt, ein wunderbarer Band, der, opulent gestaltet, den Leser trotzdem formal und inhaltlich auf das Wesentliche zurückführt.

"minimal", so der Titel, ist dann auch der gelungene Versuch, das Essenzielle des Augenblicks und die Vergänglichkeit des Momentums in Worte zu fassen, um ihn im Nachhinein erfahrbar zu machen und sich dessen Intensivität zu vergegenwärtigen.

Die Gedichte Shuntarôs sind in ihrer situativen Eindringlichkeit mehrheitlich pointierte Selbsterfahrungen der eigenen Endlichkeit, deren alles durchdringende und stets gegenwärtige Vergänglichkeit in jedem Moment schmerzhaft erfahren wird.

"...Stille ist Antwort Einsamkeit eine Lust..." so drückt es der Dichter, selten trifft diese Vokabel bei einem Autor so zu, wie bei Tanikawa Shuntarô, so scheinbar lapidar und doch mit Wucht daherkommend aus, dass der Leser zurückgeworfen wird auf das jeweils eigene Verhältnis zwischen dem Bewusstsein begrenzter Zeitlichkeit und der dieser Erfahrung immer den Versuch entgegensetzt, Halt zu finden im Strom der Kurzlebigkeit.

30 Gedichte, gebunden in drei Hefte in einem Umschlag, der, klappt man ihn auf, an ein Triptychon erinnert, sind formal in der Tat minimalistisch. Lässt sich der Leser jedoch auf jedes einzelne, immer ein Wagnis seiend, Gedicht ein, so erscheint hinter Shuntarôs knappen Worten stets eine Welt, die jenseits der vordergründigen und alltäglichen Wahrnehmungen erfahren werden kann.

"minimal" von Tanikawa Shuntarô ist, der Leser verdankt das des bewundernswerten Engagements sowohl des Secession Verlags als auch des Übersetzers Eduard Klopfenstein, ein in dieser Form leider selten gewordenes Erlebnis.




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Veröffentlicht am 27. September 2015