Buchkritik -- Philipp Blom -- Böse Philosophen

Umschlagfoto  -- Philipp Blom  --  Böse Philosophen Gibt es böse Philosophen? Ist diese aus der Religion stammende moralische Kategorie ein geeignetes Mittel, um eine philosophische Denkrichtung zu beschreiben? Philipp Blom benutzt diesen Terminus dann auch augenzwinkernd, wenn er die Personen und ihre Ideen beschreibt, die sich in den Jahren von 1740 bis 1780 im Salon des Barons Paul-Henri Thiry d'Holbach in Paris getroffen haben und sich durch einen radikalen Atheismus auszeichneten. Dieser Salon war, nicht ungefährlich im Ancien Régime, antiklerikal und materialistisch, einer Aufklärung verschrieben, welche die menschliche Vernunft in den Fokus der Philosophie stellte und jeden Glauben an einen wie auch immer gearteten Schöpfer verneinte.

Der Autor führt den Lesern mit einem charmanten Plauderton den Geist dieses Salons und seine Vorläufer des materialistischen Denkens - Epikur, Lukrez, Spinoza - vor Augen. Viele europäische Intellektuelle dieser Zeit gingen hier ein und aus. David Garrick, David Hume, Abbé Galiani und Cesare Beccaria waren dem Salon mehr als freundschaftlich verbunden. Gleichzeitig ist das Buch Böse Philosophen - Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung aber auch ein Überblick über die damals angesagten philosophischen Diskussionen. Im Vorfeld der Französischen Revolution gärte es unter den - um einen, im Gegensatz zum Begriff des Intellektuellen, adäquateren Ausdruck zu verwenden, der dem Charakter der damaligen Zeit besser entspricht - Gebildeten dieser Jahre.

Die Macht der Monarchie wankte bereits. Neue Ideen und deren politische Konsequenzen beherrschten die Menschen. Der Salon des Barons d'Holbach war ein Sammelpunkt für diejenigen, denen das Alte nicht schnell genug Neuem Platz machen konnte. Die Ideen waren nichts weniger als revolutionär. Es gibt keinen Gott und die Triebe steuern das menschliche Verhalten. Dieser radikale Materialismus geriet zwangsläufig in Konflikt mit der herrschenden Meinung.

D'Holbach und Diderot waren die Brennpunkte dieser Auseinandersetzungen. Letzterer heute nur noch bekannt durch seine frivolen Schriften, war einer der Herausgeber und Mitautor der französischen Encyclopédie und wurde aufgrund seiner Schrift über die Nichtwahrnehmung Gottes zur Festungshaft verurteilt. Bestand während dieser Zeit zwischen Rousseau und Diderot noch eine Freundschaft, so stellte sich ersterer im weiteren Verlauf gegen Diderot und den Salon d'Holbach

Dieser Konflikt ist der Dreh-und Angelpunkt des Buches von Philipp Blom. Während die Gedanken von Rousseau ihren Siegeszug durch die europäische Aufklärung machten, gerieten die Ideen d'Holbachs und Diderots auf das Abstellgleis der Philosophiegeschichte. Voltaire, der pointierte, aber philosophisch beteutungslose Spötter, betrachtete aus sicherer Distanz die Auseinandersetzungen zwischen Rousseau und Diderot.

Beide, sowohl Voltaire als auch Rousseau wollten nicht die Religion per se abschaffen, sondern, in Gestalt von Voltaire, die schlimmsten Auswüchse verhindern und in der Person Rousseau das religiöse Gefühl in die politische richtige Bahn lenken. Philipp Blom erinnert daran, dass ausgerechnet ein Denker wie Rousseau, der wie kein anderer in seinen Schriften etwas anderes publizierte, als er es real lebte, der ein erfolgreiches Buch über Erziehung schrieb, seine fünf Kinder jedoch ins Findelheim gab, der ein politisches Manifest herausgab, das sämtlichen nach ihm lebenden Diktatoren als Handlungsanleitung für Terror und Unterdrückung diente und dessen Leben so vollkommen verschieden von seinem Werk zu betrachten ist, zu solch, wie der Autor meint, unverdientem Ruhm gelangt ist.

Wurde, wie Blom es beklagt, ein Erbe der Aufklärung verschwendet oder stellt der Zirkel um d'Holbach und Diderot aus gutem Grund nur noch eine Randnotiz der Philosohiegeschichte dar? Betrachtet man, ausgehend von den Wirren der Französischen Revolution die "...ismen" der nachfolgenden Geschichte, so muss man feststellen, dass, je mehr die Religion geleugnet wurde, desto größere politische Verbrechern im Namen der Aufklärung verübt worden sind.

Kommunismus, Nationalsozialismus, Faschismus, Sozialismus und Kapitalismus haben bei allen ihnen innewohnenden Unterschieden eines gemeinsam, sie wollten den Menschen von seinen religiösen Irrtümern befreien und haben dabei ihre jeweils eigenen Monster geschaffen. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts ist es gelungen, Religion und Vernunft auszusöhnen. Dies freilich nur unter der Bedingung, dass sich Religion fortan ausschließlich im Privaten abspielt. Das muss kein Nachteil sein, denn am Horizont taucht eine Bedrohung auf, deren Wirkmächtigkeit immer noch unterschätzt wird.

Dem globale Machtanspruch eines radikalen Islam, einer Religion, die keine Trennung zwischen Privatem und Glauben, zwischen Staat und Kirche kennt und für die das Wort Säkularisierung gleichbedeutend mit Gotteslästerung ist, kann ein entreligionisierter Westen nur staunend, aber zunehmend hilfloser gegenüberstehen.

Nicht zuletzt aus der Tatsache, dass sich für den Islam die Frage nach der Bedeutung des Materialismus, bzw. des Naturalismus gar nicht stellt, ja gar nicht stellen kann, muss der aufgeklärte Westen verwundert konstatieren, dass die vergessen geglaubte radikale Aufklärung eines D'Holbach und Diderot nichts von ihrer Wichtigkeit verloren zu haben scheint. Der Okzident hat seine Lektion gelernt. Dem Orient steht sie noch bevor.

Philipp Blom hat ein Buch geschrieben, das nicht zu Unrecht an dieses Erbe der Aufklärung erinnert.




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