Buchkritik -- Petra Stark -- Verlangen nach Leben

Umschlagfoto, Petra Stark  --  Verlangen nach Leben, InKulturA Die wissenschaftlich-historische Aufarbeitung der gesellschaftlichen und politischen Vorgänge in der ehemaligen DDR ist ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Nüchtern, allein die Fakten berücksichtigend, ist sie die akademische Art, die Daten dieser Ära zu verarbeiten und, im Idealfall, sich einer Wertung zu verweigern, die doch wegen der immer latent im Hintergrund vorhandenen politischen und ideologischen Präferenzen der an der Forschung Beteiligten nicht immer die geforderte Objektivität besitzt.

Einen ganz anderen, nicht weniger wichtigen Zugang zum historischen Geschehen, bieten die Erlebnisse, Erzählungen und Schilderungen von Zeitzeugen, die unmittelbar in die Abläufe und Entwicklungen verstrickt waren, an ihnen teilgenommen haben, sie verursacht oder, wie im Fall von Petra Stark, darunter gelitten haben.

"Verlangen nach Leben" ist solch ein Beispiel für die subjektive Betrachtung, die, und das muss deutlich gemacht werden, einen eben so wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung der repressiven Politik der ehemaligen DDR leistet, wie die rein wissenschaftliche.

Eine junge Frau, alleinerziehende Mutter, lebenslustig, selbstbestimmt und den DDR-Alltag auf zupackende Weise bewältigend, gerät ohne ihr Wissen in den Fokus der staatlicher Überwachungsorgane, die fortan als geheime Macht im Hintergrund ihr Leben beeinflussen werden. Als sie im Jahr 2002 Einsicht in ihre Stasi-Akte erhält, wird ihr erst das ganze Ausmaß der Bespitzelung und der Manipulationsversuche seitens der Staatssicherheit deutlich, dem sie und ihr Sohn ausgesetzt gewesen waren.

"Verlangen nach Leben" ist ein beklemmendes Buch über eine Periode der deutschen Geschichte, die sukzessive im Gedächtnis gerade der west-sozialisierten Menschen zu verblassen scheint. Die Lektüre zeigt auf erschütternde Weise, wie schnell auch eine vermeintlich systemkonforme Bürgerin in die Fänge eines allmächtigen Staates gelangen konnte.

Die Autorin beschreibt, immer distanziert durch die Verwendung der dritten Person, den langen Weg, den sie gezwungen war zu gehen, als sie nicht mehr bereit war, sich mit der Bevormundung durch die Staatsmacht der DDR abzufinden. Der von ihr gestellte Ausreiseantrag führte dann auch, gemäß der politischen Logik der DDR, erst einmal ins Gefängnis.

Es ist die Geschichte einer Frau, die sich wehrt und die die Konsequenzen zu spüren bekommt. Es ist aber auch ein Buch über die vom Sozialismus Überzeugten, die Mitläufer und die Profiteure des Systems, ohne die die DDR nicht hätte immerhin 41 Jahre bestehen können.

Der Leser tut jedoch gut daran, nicht in eine vermeintlich überhebliche Position gegenüber den dramatischen Erlebnissen derjenigen, die unter dem sozialistischen Regime zu leiden hatten, zu fallen. Einzig die "Gnade der geographischen Lage" entschied darüber, in welchem politischen System ein deutscher Bürger leben durfte. In der Demokratie der Bundesrepublik oder im real existierenden Sozialismus der DDR.

Angesichts der von Petra Stark geschilderten politischen Repressionen durch die Stasi dürfte es kaum einen Leser gegen, der während der Lektüre keine Empörung und kein Entsetzen empfindet. In Anbetracht der Tatsache, dass auch das familiäre Umfeld der Autorin direkt von den Machenschaften der Staatssicherheit betroffen war und kein Beteiligter bereit ist, über diese Dinge mit der Betroffenen zu reden, bleibt man sprachlos zurück.




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Veröffentlicht am 14. November 2013