Philosophie Magazin -- 01/2018

Umschlagfoto, Philosophie Magazin, 01/2018, InKulturA Ein Blick auf die Angebote des Buchhandels zeigt, dass die Suche nach dem „inneren Kind“ Konjunktur hat. Zahlreiche Ratgeber, Selbstzeugnisse und andere, oft dubiose Hilfsangebote zum Finden des angeblich auf dem Weg durchs Leben verloren gegangene Kind in uns, demonstrieren eine fatale Zunahme infantiler Bemühungen, individuell Vergangenes zu verklären und dies als Basis einer Neudefinition innerlicher Befindlichkeiten zu missbrauchen.

"Wo ist das Kind, das ich war?", so das Thema des aktuellen Philosophie Magazin, das sich ebenfalls auf die Spurensuche des vermeintlich abhanden Gekommenen begibt und durch die jeweiligen Beiträge zeigt, dass es doch nicht so einfach bestellt ist um die Idealisierung der eigene Kindheit.

Natürlich wissen gerade Eltern um die erfrischende Naivität kindlicher Fragen, hinter denen sich, seien wir ehrlich, geradezu philosophische Dimensionen auftun, deren Reichweite uns Erwachsenen durch die alltägliche Tretmühle des Beschaffung des materiell Notwendigen sukzessive abhanden gekommen ist. Doch Vorsicht: Die Verklärung der Kindheit ist ein, wie Meika Sophia Baader es schreibt, zeitgeschichtlich relativ neues Phänomen, das die Bühne der Aufmerksamkeit erst betrat, als die Kindersterblichkeit zurückging und sich eine emotionale Beziehung zum eigenen Nachwuchs "lohnte".

Kindheit, und das ist die Kehrseite der Medaille, ist aber auch eine Zeit der erfahrenen Ungerechtigkeit, des Unterordnens unter die Weisungen von Erwachsenen und leider oft auch das Erleben von Schmerz und Brutalität. "Wir dürfen unsere Kindheit nicht verklären", betont Susan Neiman und bringt damit die Sache auf das Wesentliche: "(...) die eigene Kindheit zu reflektieren und dabei auch auszusortieren", gleichsam die Spreu vom Weizen zu trennen, das erfahrene Negative zu verarbeiten und das erlebte Glück in Erinnerung zu behalten und, idealerweise, an die eigenen Kinder weiterzugeben. Keine einfache Sache.

Welche Transformationen utopische Gesellschaftsentwürfe unter dem Diktat der Ökonomie mitunter durchmachen, zeig die Reportage über die Idee des Kibbuz, eine Form ländlichen Gemeinwesens in Israel, das auf den Prinzipien gegenseitiger Hilfe und sozialer Gerechtigkeit beruht und das ein sozialwirtschaftliches System darstellt, in dem Arbeit und Besitz geteilt werden. "Jeder gibt nach seinen Möglichkeiten und erhält gemäß seinen Bedürfnissen."

Michel Serres teilt den Pessimismus und die Furcht vieler Menschen vor den Folgen künstlicher Intelligenz und der zunehmenden Herrschaft des Digitalen ganz und gar nicht. Für ihn sind Roboter und die dahinter stehenden Algorithmen schlichtweg unsere neuen Knechte und keinesfalls eine Bedrohung. Darüber kann man geteilter Meinung sind, denn hinter jedem Algorithmus steckt, derzeit jedenfalls, noch Humankapital. Und das kann sowohl für der Menschheit nutzbringende Dinge als auch für zweifelhafte Ziele benutzt werden. Es ist also in Bezug auf digitale Anwendungen durchaus Wachsamkeit angesagt.

Ein wunderbar unaufgeregtes Gespräch mit Orhan Pamuk, dem literarischen Wanderer zwischen Orient und Okzident und interessante Buchvorstellungen - gerade hinsichtlich des bevorstehenden Geschenkemarathons - runden diese, wieder einmal gelungene Ausgabe ab.





Veröffentlicht am 3. Dezember 2017