Buchkritik -- Bernd Roeck -- Der Morgen der Welt

Umschlagfoto, Buchkritik, Bernd Roeck, Der Morgen der Welt, InKulturA Bitte hinsetzen und anschnallen, der Phönix hebt in Kürze ab und unternimmt mit Ihnen eine Reise durch die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Das Ziel ist zwar das Zeitalter der Renaissance, doch es sind, wollen wir deren Bedeutung und Ausmaß möglichst vollständig erfassen, mehrere Zwischenstopps in diversen Zeiten und Orten vonnöten, um die dramatischen Veränderungen und deren Tragweite, aber auch die historische Kontinuität der Ereignisse, Erfindungen und das sich daraus entwickelnde Menschenbild mit seinen Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft, Religion und Kunst nachvollziehen zu können.

Warum, und das ist die Frage, die Bernd Roeck mit seinem, hier trifft ohne Frage der Superlativ voluminös zu, Buch zu beantworten unternimmt, ist es gerade dem politisch, militärisch, wirtschaftlich und kulturell randständigen Europa gelungen, sich gegenüber China oder dem erstarkenden und landnehmenden Islam als zukünftige und einzige Weltmacht zu etablieren?

Europa bzw. das weströmische Imperium lag seit 480 in Trümmern - das oströmische Reich überdauerte den Zusammenbruch bis 1453 und fand erst durch die osmanische Eroberung von Byzanz sein Ende - und in eben diesen haben sich die Nachfahren der Lateineuropäer für eine lange und scheinbar dunkle Zeit eingerichtet. Doch so finster wie das Mittelalter gern beschrieben wird, war es beileibe nicht, denn die wesentlichen Voraussetzungen für Europas Aufstieg zur führenden (Welt)Macht fanden sukzessive in den tausend Jahren zwischen dem Zerfall des oströmischen Reiches und der Wiedergeburt des Kontinents, der Renaissance statt.

Die Wiedergeburt Europas aus dem Geist der Renaissance ist nicht nachzuvollziehen, ohne deren historische Voraussetzungen zu reflektieren und aus diesem Grund beginnt der Flug des Phönix fast 500 Jahrhunderte vor Christus, deren „Vorsokratische Splitter“ bereits die Grundlagen europäischen Denkens bildeten. Im Spannungsfeld zwischen Göttern, Kosmos und Menschen und dessen im weiteren Verlauf ausgebildete Diskurskultur, die, fragend und aufgeschlossen, die weitere Entwicklung Lateineuropas bestimmte, fand langsam, aber stetig Europa seinen Weg in die Moderne.

Griechenland, Rom und nicht zuletzt das Christentum waren die Wiege des, wie Roeck es nennt, horizontalen Denkens, des hierarchiefreien Diskurses, das sich im Lauf der Zeit immer mehr vom Vertikalen, das sowohl den Islam als auch China prägte, befreite und nach einer fulminanten Aufholjagd des angewandten Wissens in einer alle Bereiches des Lebens umfassenden Synthese endete und damit Europas wissenschaftliche und politische Führung zementierte.

"Der Morgen der Welt" ist gleichzeitig ein historisches Kompendium, ein Geschichtsbuch und, überaus selten für diese Genre, ein Lesevergnügen ohnegleichen. Da die Geschichte der Renaissance nicht ohne wesentliche Einflüsse von außen vor sich ging, unternimmt der Autor immer wieder Vergleiche zu anderen Kulturen, die, primär initiiert durch Handelsbeziehungen, das westliche Denken immer wieder herausforderten und seine Produktivität steigerten.

Warum nun fand ausgerechnet in Europa diese Entwicklung statt und nicht im islamischen Kulturkreis oder dem Chinesischen Reich? Weit entfernt von jeglichem Kulturchauvinismus zählt Bernd Roeck einige wesentliche Faktoren dieses Erfolgs auf. Ein leicht zu erlernenden Buchstabenalphabet, Latein als Lingua franca, die einen europäischen Diskurs erst möglich machte, eine von den Griechen übernommene Neugier, die sich im Gegensatz zu rigiden und vertikal dominierten Gesellschaften Neuem gegenüber aufgeschlossen zeigte. Die städtische Entwicklung und ein sich zunehmend selbstbewusstes Bürgertum, wirtschaftliche Produktivität, zahllose Erfindungen und wissenschaftliche Fortschritte besiegelten die europäische Vormachtstellung.

Wer sich mit dem Roeck`schen Phönix auf diese Zeitreise begibt, den erwartet eine Geschichtslektion der besonderen Art.




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Veröffentlicht am 14. April 2018