Buchkritik -- Jürgen Roth -- Der stille Putsch

Umschlagfoto, Jürgen Roth, Der stille Putsch, InKulturA Das Projekt "Europa" hat sich längst in ein von willfährigen und von über wenig bis gar keinen Sachverstand verfügende Polit-Technokraten im Dienste der US-amerikanischen Finanzindustrie manipuliertes Ungeheuer verwandelt, dessen antidemokratische Züge jeden Tag deutlicher werden. Nicht von ungefähr sprechen viele kritische Beobachter der politischen Vorgänge in Brüssel von einer EUdSSR, die, demokratisch nicht legitimiert, sich anmaßt, ihre Verordnungen und politischen Diktate über die Köpfe der europäischen Bürger durchzusetzen.

Jürgen Roth, einer der wenigen wirklich investigativen Journalisten Deutschlands, hat hinter den Kulissen der EU-Diktatur recherchiert und einige der Hauptakteure, die meist hinter verschlossenen Türen ihr Unwesen treiben, beim Namen genannt. Es sind solche fragwürdigen elitären Zirkel wie der "Entrepreneurs' Roundtable", die, zusammengesetzt aus Mitgliedern einer selbst ernannten wirtschaftlichen Elite, in der Lage sind, Politiker zu manipulieren und in die von ihnen gewünschte Richtung - die gleichbedeutend ist mit dem Abbau sozialer Leistungen und individueller Sicherheit - zu lenken.

Schon lange ist ein "Groß-Europa" auf der Agenda interessierter und daran profitierender Kreise und, Jürgen Roth beschreibt das vollkommen richtig, die Situation in Ländern wie Griechenland, Portugal und Zypern ein Testlauf für die zukünftige politisch-gesellschaftliche Entwicklung in ganz Europa. Die politische Konstruktion, das künstliche Gebilde "Europa" ist längst unter die Räuber gefallen und die vom Volk gewählten Vertreter spielen bei der Ausplünderung der Bürger an vorderster Front mit.

Demokratisch nicht legitimierte "runde Tische", "Kommissionen" und sonstige Vertreter eigener Interessen führen seit Jahren einen Staatsstreich durch, der die Interessen der globalen Finanzmafia - Hedgefonds, Banken und Großunternehmen - vertritt. "Der stille Putsch", so der Titel des Buches, beschreibt die Mechanismen, mit denen die an sich gute Idee eines vereinten Europa pervertiert wird und den Partikularinteressen einflussreicher Kreise geopfert wird.

Leider, und das ist das große Manko dieses ansonsten gewohnt gut recherchierten Buches, verwechselt der Autor gerade in Bezug auf die momentane wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der europäischen Südländer Ursache und Wirkung. Die Verarmung der griechischen Gesellschaft ist einzig der korrupten griechischen Politkaste zuzuschreiben, die, als es um die Aufnahme in die Europäische Union ging, sich gern der Dienste von Goldman Sachs bediente, um die staatlichen Bilanzen zu fälschen und somit der EU beitreten konnte. Unabhängige Fachleute haben bereits damals vor einem drohenden Kollaps des griechischen Systems gewarnt, wurden jedoch nicht zur Kenntnis genommen. Goldman Sachs und Konsorten fahren also im Prinzip nur ihre - durch Politbonzen - vertraglich festgelegte Provision ein.

Jürgen Roth versäumt es leider darauf hinzuweisen, dass die aktuellen Krisen in den europäischen Südländern hausgemacht sind. Korrupte und zu Nepotismus neigende Politiker kamen sowohl in Griechenland als auch in Portugal durch den EU-Beitritt in die komfortable Lage, sich mit frischem Geld versorgen zu können, sprich unbegrenzt Kredite aufzunehmen. Als auch noch die No-Bail-out Klausel, die die Übernahme von Schulden von Drittländern ausschloß, stillschweigend begraben wurde, war der staatlichen Verschuldung der Südländer Tor und Tür geöffnet - mit den heute sichtbar gewordenen Auswirkungen auf die jeweiligen Gesellschaften.

Natürlich zahlt die Bevölkerung heute den Preis für die politischen Fehler der Vergangenheit. Die europäischen Politiker sind trotz aller hektischer und aufgeregter Euro-Rettungsmaßnahmen im Prinzip hilflos und flüchten sich in sinnlosen und Geld vernichtenden Aktionismus, dessen Scheitern zwangsweise die Haie des internationalen Kapitals anlockt. In dieser Situation - Stichwort Troika - sucht eine unfähige Politik den Ausweg aus der von ihr erst verschuldeten Situation und nimmt dabei in Kauf, dass Demokratie und Freiheit in Europa geopfert werden.

"Der stille Putsch" ist inzwischen längst kein stiller mehr, denn auch die sich noch immer in Sicherheit wiegenden deutschen Bürger spüren langsam die Schieflage, in der sie sich befinden. Eine marode Infrastruktur, Niedriglöhne, ein sukzessiver Abbau marktwirtschaftlicher Prinzipien, gesellschaftliche Verarmung und vieles mehr, sind die untrügerischen Anzeichen des drohenden europäischen Zusammenbruchs. Viele werden verarmen und nur wenige von der Situation profitieren. Jürgen Roth nennt einige von ihnen beim Namen.

Eine Bemerkung noch zum Schluss: Wer, wie der Autor, den gewalttätigen und randalierenden Mob, der unlängst in Hamburg wütete, als "kritische Jugendliche" bezeichnet, der hat doch eine zumindest merkwürdige Sicht der Dinge.




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Veröffentlicht am 27. April 2014