„Kaffee und Zigaretten“, das klingt nach Einsamkeit, Melancholie und Erinnerungen. Genau das sind die Themen, um die Ferdinand von Schirach in seinen autobiografisch erzählten 48 Passagen kreist. Kindheitserlebnisse, Wiedersehen mit alten Freunden, die die Vergangenheit einmal mehr heraufbeschwören, Kommentare und Aperçus, meist sich der persönlichen Wertung enthaltend, immer subjektiv verfasst, niemals beschönigend und doch von einer stillen Intensität, welche die Lektüre zu einem eindringlichen Erlebnis werden lässt.
Es sind Momentaufnahmen gelebten Lebens, das nun einmal so ist, wie es ist. Menschen, sympathische und unsympathische, schuldige und unschuldige, tauchen auf und verschwinden wieder, hinterlassen nichtsdestoweniger Spuren, die plötzlich wieder an die Oberfläche gelangen und förmlich dazu auffordern, die eigene Gewordenheit in längst Vergangenem zu verorten.
Es ist kein Blick zurück im Zorn oder gar Wehklagen über verpasste Gelegenheiten. Es ist vielmehr die nüchterne Bestandsaufnahme eines Menschen, der, berufsbedingt, mehr und vor allen Dingen Schlimmeres gesehen haben dürfte als die meisten der Leser, sich trotzdem aber eine sensible Subjektivität bewahrt hat, die darum weiß, dass der Grat zwischen richtig und falsch, zwischen, befreit man die beiden Wörter denn von ihrer religiösen Konnotation, gut und böse schmal ist und das, was wir als Wahrheit bezeichnen, in Wirklichkeit aus vielen Facetten besteht.
„Wir leben nur einen Wimpernschlag, dann versinken wir wieder, und in dieser kurzen Zeitspanne können wir noch nicht einmal das scheinbar Einfachste: die Wirklichkeit erkennen“, so schreibt es Ferdinand von Schirach. Das muss jedoch kein Grund zur Verzweiflung sein, denn wir können die Waage des Lebens, deren Schalen sich, seien wir ehrlich, wohl oder übel in Richtung Negatives senken, nicht überlisten. Was wir jedoch können, ist zu versuchen, eine heitere Melancholie zu erlangen, die darum weiß, wie der Autor es ausdrückt: „Glück ist eine Farbe und immer nur ein Moment.“
„Kaffee und Zigaretten“, 192 Seiten, die nicht zuletzt die Philosophie dorthin stellen, wo sie hingehört: mitten ins Leben.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 4. Mai 2019