Buchkritik -- Ferdinand von Schirach -- Tabu

Umschlagfoto, Ferdinand von Schirach, Tabu, InKulturA Sebastian von Eschburg durchlebt eine schwere Kindheit, die, durch das Fehlen elterlicher Liebe und Fürsorge, sein ganzes Leben bestimmen wird. Durch den Selbstmord seines Vaters wird er traumatisiert und verliert die letzte überhaupt noch vorhandene Person, die ihm so etwas wie Interesse entgegenbringt. Das Verhältnis zu seiner Mutter ist ihrerseits von Desinteresse gekennzeichnet und so ist Sebastian von klein an auf sich gestellt.

Sehr früh wird Sebastian bewusst, wie groß die Differenz zwischen Wirklichkeit und Wahrheit ist und er versucht als Künstler mit seinen Fotografien und Videoinstallationen so etwas wie Erlösung zu finden. Sebastian von Eschburg ist auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Erfolgs, als er wegen Mordverdacht verhaftet wird. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch übernimmt der Anwalt Konrad Biegler die Verteidigung.

Ferdinand von Schirach hat wieder einen Roman veröffentlicht, der sich einmal mehr mit den Themen Schuld, Gerechtigkeit, Wahrheit und Wirklichkeit auseinandersetzt. Der Autor, der in seinen Büchern gern über den Zusammenhang dieser für die Gesellschaft grundlegenden Werte philosophiert, hat mit "Tabu" jedoch einen zwiespältigen und verwirrenden Roman geschrieben, der seine Leser etwas ratlos zurück lassen dürfte.

Zieht Ferdinand Schirach im groß angelegten, die Kindheit Sebastians schildernden ersten Teil des Romans alle Finessen seiner sprachlicher Eleganz und Sensibilität, so bricht sein Erzählstil mit Beginn des zweiten Teils, der Verhaftung Eschburgs und der folgenden Gerichtsverhandlung vollkommen zusammen.

In der ersten Hälfte des Romans wir der Leser vom Autor noch mit literarischer Wucht zum Zeugen einer tragischen Kindheit gemacht, die, tief und gnadenlos seziert vom Autor, die Zerstörung eines Menschen schildert. Die Not und die Verzweiflung Sebastians, die Schirach mit solch einer grausam eleganter Diktion erzählt, ist einzigartig

Doch, oh Schreck, der zweite Teil des Romans wirkt dagegen, und mir fällt wirklich kein geeigneteres Wort ein, wie eine Klamotte. Der Leser reibt sich verwundert die Augen und fragt sich, ob er jetzt etwa das Drehbuch zu einer schlechten Tatortverfilmung in den Händen hält. Die sprachliche Eleganz, die verstörende und zugleich faszinierende Beobachtung und der tiefe analytische Blick des ersten Teils macht eine absolute stilistische Wandlung durch, die mehr als verwirrt.

So droht der ermittelnde Kriminalpolizist während eines Verhörs mit Folter. Diese Drohung wird in der Gerichtsverhandlung zwischen Eschburgs Anwalt und dem Polizisten auf wenigen Seiten mit den bekannten Positionen abgehandelt und dann zur Tagesordnung übergegangen. Was für eine verpasste Gelegenheit, um dieses brisante Thema literarisch aufzubereiten.

Natürlich, Eschburgs Anwalt ist ein Unikum. Zynisch und unfreundlich, aber ein Meister seines Faches. Hier blitzt vereinzelt wieder das sprachliche Vermögen des Autors durch. Das allein genügt jedoch leider nicht, um dem Roman die Wucht und die Kraft des ersten Teils zu geben.

Auch das Ende, die Lösung des Falls und der Abschluss der Gerichtsverhandlung ist eher kryptisch, weil nichts so gewesen ist, wie es anfangs schien. Auch wird die Figur des Sebastian von Eschburg zusehends unschärfer und seine provokante künstlerische Aktion, die ihn schließlich ins Untersuchungsgefängnis bringt, gleicht eher einem großen Klamauk und weniger der Suche nach, wie Schirach seinen Protagonisten erzählen lässt "Wahrheit und Wirklichkeit". Spätestens hier wird der Roman dann doch vollends diffus und steht damit in einem dermaßen großen Widerspruch zur brillanten ersten Hälfte, dann man sich fragt, ob das vom Autor wirklich ernst gemeint ist.




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