Buchkritik -- Rolf Stolz -- Schwester Schwester Bruder

Umschlagfoto, Rolf Stolz, Schwester Schwester Bruder, InKulturA Ein Jäger wird auf seinem Hochsitz erschossen. Als Täterinnen werden kurz darauf seine Ehefrau und deren Schwester verhaftet. Im Prozess werden die beiden zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Während die Frau des Ermordeten die Tat zugibt, leugnet ihre Schwester die Mittäterschaft. Soweit scheinbar ein banaler Plot. Opfer und Täterinnen sind behördlich ermittelt und der Gerechtigkeit wird Genüge getan. Aktendeckel zu und Fall abgeschlossen? Mitnichten!

Rolf Stolz entwirft im zweiten Band seiner "Münchhausen-Trilogie" ein beklemmendes Famiienportrait im Deutschland der 80er Jahre. Während die Gerichtsverhandlung eindeutig und paragraphentreu den Tatverdächtigen das Verbrechen nachweist, die individuellen Lebensgeschichten des Beziehungsgeflechts Opfer und Familie jedoch ausblendet, setzt der Autor an genau dieser Stelle an und breitet vor den Augen des Lesers ein Panoptikum des interfamiliären Schreckens aus, dem die Familienmitglieder ausgeliefert sind.

Es sind die 80er Jahre und Deutschland taumelt zwischen Hedonismus und Zukunftsangst. Das Opfer, Lebemann, durch zwielichtige Geschäfte relativ wohlhabend und die eheliche Treue wegen sexueller Sprödigkeit seiner Frau als zu vernachlässigende Größe betrachtend, ist auch Täter. Die vor Gericht verurteilten Frauen nicht nur Täterinnen, sondern ebenfalls Opfer.

Das trifft besonders auf die allein erziehende Eva Ebner, die Schwester der Ehefrau zu. Sie befindet sich sowohl um Fokus beruflicher Spannungen als auch familiärer Dissonanzen, die aus ihrem Leben ein Minenfeld persönlicher Anfeindungen und Ressentiments machen.

Rolf Stolz zeigt das Aufeinanderprallen gesellschaftlicher und privater Gegensätze. Macht und Unterdrückung, Arm und Reich, Gewalt und Hilflosigkeit sind die treibenden Kräfte, die aus den scheinbar Agierenden in Wirklichkeit Getriebene der selbst verschuldeten Umstände machen.

Ob im Fall Eva Ebner das Urteil lebenslänglich gerechtfertigt ist, bleibt letztendlich ungeklärt. Allemal bestraft sind sämtliche Protagonisten des Romans "Schwester Schwester Bruder", der dann auch weniger ein Kriminalroman ist, als vielmehr ein zeitloses Sittengemälde, bereits mit dem Leben, das sie zu führen gezwungen sind. Und, im Gegensatz zu den real fünfzehn Jahren, die bei Verhängung einer lebenslänglichen Strafe abzusitzen sind, bedeutet das für die Menschen wirklich ein Leben lang. Was für eine Hölle!


Band 1 der Münchhausen-Trilogie: Der Gast des Gouverneurs in der Wand des Kraters




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Veröffentlicht am 13. Dezember 2015