Buchkritik -- Steven Uhly -- Den blinden Göttern

Umschlagfoto, Buchkritik, Steven Uhly, Den blinden Göttern, InKulturA Friedrich Keller, Einzelgänger mit misanthropischen Anflügen, zudem noch unbeleckt von den Freuden sexueller Betätigung, führt im Haus seiner verstorbenen Eltern ein Leben, das trist zu nennen, noch untertrieben wäre. Als Leiter der Abteilung für Lyrik, in Wirklichkeit ein hinterer Raum mit kümmerlichem Angebot, verdient er seinen bescheidenen Lebensunterhalt in der familiengeführten Buchhandlung, deren Chef, Kellers Bruder, dessen Arbeitsplatz jedoch aus Gründen der Umsatzmaximierung kurzerhand auflöst.

Eines Tages drückt ihm ein verwahrloster Mann ein Manuskript mit Gedichten in die Hand, dessen Lektüre sein Leben verändern wird, es aus den Fugen geraten lässt. Keller, ausgewiesener Kenner lyrischer Werke, weiß nach der ersten Lektüre sofort, dass er es mit Gedichten zu tun hat, die so außergewöhnlich sind, die ihn so tief in seinem Inneren treffen, dass er Gefahr läuft, den Bezug zur Realität zu verlieren, was auch geschieht, als er unerwartet dem Mann wieder begegnet, der ihm die Sammlung übergeben hat.

Radi Zeiler, so dessen Name, obdachlos und Alkoholiker, bringt Kellers einsame Welt und die von ihm aufgebauten sozialen Abgrenzungen, ja sogar seinen Begriff von Realität ins Wanken und demontiert sukzessive den Anschein gelebter Normalität. Steven Uhlys Roman beginnt höchst konventionell – ein mysteriöser Unbekannter, der jenseits gesellschaftlich akzeptierter Regeln lebt, ein Underdog, trifft auf einen sich uneingestanden nach Hilfe sehnenden Mann und verändert dessen Leben – entwickelt sich jedoch schnell zu einem Puzzle verschiedener Erzählebenen und -zeiten.

Was ist Realität, was ist Traum und vor allen Dingen, wie entsteht Wahrheit? Immer wieder erlebt sich Keller in verschiedenen Situationen, mal als handelndes Subjekt, mal als fast hilfloses Objekt polizeilicher Ermittlungen. Immer wieder gelingt es Steven Uhly den Leser aus der Ruhe zu bringen, ihn zu verführen, indem er auch seinen Figuren eine sich wandelnde Rolle zuschreibt. So fluktuiert Radi Zeiler, zwischen Vaterfigur, fiktiver Gestalt und brutalem Mörder, der sein Opfer verbrennt. Jede Rolle erfordert eine andere Realität und dementsprechend eine andere Handlung.

Uhly macht es seinen Lesern nicht leicht, will es auch gar nicht, denn sein Roman wandelt spielerisch durch verschiedene literarische Genres, bleibt in seiner Handlung jedoch stringent bei der Frage, was ist individuelle Realität und wenn es sie denn überhaupt gibt, wie kommt sie zustande.

Man könnte „Den blinden Göttern“ als einen wieder einmal meisterhaft von Steven Uhly geschriebenen Roman bezeichnen und zur Tagesordnung übergehen, wenn nicht zum Schluss des Buches eben jene Sonette des Radi Zeiler stehen würden, die auf kongeniale Weise die Quintessenz der vorangegangenen Seiten bilden.

Diese, und das ist das wunderbar Einzigartige an den vierunddreißig Gedichten, vermitteln dem Leser auf eine unaufdringliche, jedoch intensive Weise ein Gefühl, weniger ein Wissen, als vielmehr eine Ahnung um seine eigene Fragilität in Zeit und Raum, seine Geworfenheit, seine Sprachlosigkeit – man hört Heidegger und Wittgenstein, wären die denn auch Lyriker gewesen, heraus – und die letztendliche Tatsache, immer nur auf einem Weg zu sein, dessen Ziel für das Individuum unbekannt ist und zudem, ruft man denn die Götter an, „ohne an sie zu glauben“, „Hindernisse auf alle(n) Wegen“ zu spüren bekommt.

Ein praller, manchmal deftiger Roman als Ouvertüre für Sonette, die den Leser immer wieder dazu verführen, sie erneut zu lesen, ihre Schönheit und Eleganz zu genießen, die gleichzeitig aber auch das Gefühl vermitteln, ihnen mit keiner Interpretation gerecht zu werden.




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Veröffentlicht am 15: September 2018