Das Gefühl des Fremdseins, dem eigenen Körper gegenüber, der Gesellschaft, ja dem gesamten Leben, das durchzieht die fünf Geschichten, die Natascha Wodin in ihrem Buch „Der Fluss und das Meer“ erzählt. Geschichten vom Verlorengegangensein, schlimmer noch, vom sich Niegefundenhaben.
Von Mariupol am Asowschen Meer, wo die familiären Wurzeln liegen und durch zwei Diktaturen zerrissen und zerstört wurden, über Sri Lanka und die selbstgewählte Einsamkeit irgendwo in den südpfälzischen Weinbergen, immer ist es der Riss zwischen der Realität und deren innerweltlicher Wahrnehmung der an dieser Diskrepanz leidenden weiblichen Figuren.
In einer Geschichte beobachtet eine junge, frisch verheiratete Frau fast apathisch eine sich mehr und mehr vernachlässigende Nachbarin, die ihr Haus und ihren Garten, nicht zuletzt auch ihren Körper zerfallen lässt, als ob der Verfall ein notwendiges und vorgegebenes Schicksal sei.
In einem anderen Abschnitt ihres Lebens, zu einer Zeit, die von düsteren Schatten überlagert ist, lässt sie sich auf eine Beziehung mit einem Fremden ein, der in einer psychiatrischen Klinik untergebracht ist. Die Verbindung, die sie mit diesem Unbekannten teilt, wird von der Melancholie der Musik begleitet, die wie ein trauriger Soundtrack ihr Leben durchdringt.
Während eines Aufenthalts in Sri Lanka, fernab jeglichen Glanzes, wird sie mit Hunger und Elend konfrontiert. Die Welt, die anscheinend nur sie mit offenen Augen sieht, zeigt sich in all ihrer Grausamkeit. In einer Phase existenzieller Verzweiflung zieht sie sich schließlich in eine trostlose Einsiedelei in den südpfälzischen Weinbergen zurück. Dort ringt sie mit einer finsteren inneren Macht, die wie ein Schatten über ihrem zerrütteten Leben liegt, und die Stille der Weinberge verstärkt nur das Echo ihres inneren Leidens.
Die Leserinnen und Leser werden schnell gewahr, dass dieses Buch keineswegs eine leichte Lektüre ist, insbesondere keine oberflächliche. Vielmehr handelt es sich um ein Werk, das verstörende Einsichten bietet und diejenigen, die sich darauf einlassen, auf schmerzvolle Weise in die Tiefen der eigenen Seele führt.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 21. Januar 2024