Sind wir Opfer unserer familiären Vergangenheit, ist unser Leben bestimmt von den vererbten Genen unserer Vorfahren, oder können wir mit unserer jeweils individuellen, wenn auch zeitlich begrenzten Existenz einen neuen, von der historischen Kontinuität der Generationen abweichenden Lebensentwurf realisieren?
Max Voss begibt sich auf die Suche der Geschichten seiner Vorfahren, die ihn, immer begleitet von der Donau, an deren Ufer er beginnt diese zu verschriftlichen, vom Niederbayerischen bis ins Deutsch-Polnische führt. Es sind Fragmente und Momentaufnahmen, immer im fiktiven Dialog mit seinem verstorbenen Vater und dem mehrheitlich angespannten Verhältnis zwischen den beiden.
Die Großeltern und zum Teil auch die Eltern sind geprägt von der Katastrophe des Nationalsozialismus, deren Aufarbeitung niemals Thema wurde und auch auf Nachfragen der Enkelgeneration verdrängt wurde, obwohl, wie im Fall des Großvaters, der als Lokführer hautnah die Deportationen nach Auschwitz miterlebte, es offensichtlich war, welche Verbrechen gerade in Polen geschahen.
Familie, das erzählt Zels auf dramatische Weise, ist der Mühlstein am Hals der Nachgeborenen, der, ob diese es wollen oder nicht, deren Leben erheblich mitbestimmt. Er lässt sie zu Wort kommen, die Großeltern und Eltern, die, ebenfalls geprägt von ihren Vorgängern, keine andere Möglichkeit hatten, als ihre jeweilig eigene Geworfenheit in die familiären Bande zu akzeptieren.
Dabei, auch das wird deutlich, ist die Beschäftigung mit der Geschichte, das Nachfragen, das Ringen um Antworten, das Bohren nach Ursachen und Gründen eine Angelegenheit, die erst durch die Enkelgeneration stattfand. Das macht es für Max Voss jedoch nicht einfacher, sich seiner eigenen Geschichte zu nähern.
Das Ringen um die Gründe dessen, warum es so ist wie es ist, kann schmerzhaft sein, denn dabei werden alte, nie geheilte Wunden wieder aufgerissen und durch das Aufspüren bislang unerwähnt gebliebener Fakten neue hinzugefügt.
Was also bleibt übrig, wenn nahezu alle Fragen geklärt sind und einige niemals zufriedenstellend beantwortet werden können? Vielleicht nur die melancholisch-kritische Erkenntnis, dass man gezwungen ist, sich mit seiner Geschichte, seiner Gewordenheit irgendwie zu arrangieren, will man nicht irre werden an den Tatsachen.
Max Voss jedenfalls öffnet zum Schluss eine Flasche Rotwein und akzeptiert den Fluss der Dinge, der, wie die von ihm immer wieder betrachtete Donau, sich sowieso nicht mehr ändern lässt. Vielleicht nicht die schlechteste Art sich letztendlich in seiner Existenz zuhause zu fühlen.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 25. November 2018