Buchkritik -- Curt Paul Janz -- Nietzsche

Umschlagfoto  -- Curt Paul Janz  --  Nietzsche Das Leben eines bedeutenden Philosophen fordert nach seinem Tod meist eine Legendenbildung heraus. Je abweichender seine Lehre und sein System vom jeweiligen politisch-philosophischen Standard war, desto mehr lädt seine Biographie zum verfälschen ein.

Diesem Schicksal unterlag auch die Lebensbeschreibung Nietzsches nach seinem Tod. Seine Philosophie stand gängigen Theorien und Forschungen diametral entgegen. Seine "Umwertung aller Werte" brachten ihn früh in Konflikt mit der aktuell herrschenden Lehre. Seine Existenz war bedroht von Einsamkeit und Krankheit, die im Wahnsinn endete. Gerade sein Leben und die Art und Weise seines philosophierens rief Legenden auf den Plan.

Bei kaum einem anderen Philosophen verschwand sein Leben so hinter seinem Werk wie bei Nietzsche. Da er kein philosophischer Systematiker war und jedes philosophische System sogar ablehnte, schien es auf den ersten Blick schwer zu sein, eine Quintessenz seines Werkes zu finden. Zu wiedersprüchlich und zu fragmentiert schien vielen seinen Lesern sein Werk. Jeder nahm sich das heraus, was in seine jeweilige eigene philosophische oder politische Richtung passte. Die Intentionen Nietzsches blieben dabei bestenfalls im Dunkeln oder sie wurden verfälscht.

An diesem Punkt setzte die Legendenbildung ein. Viele seiner Thesen wurden personalisiert und deren Ursprung in der Person Nietzsches gesehen. Herausgekommen ist oftmals das Zerrbild eines philosophierenden Menschen, das nichts mit dem wirklichen Wesen Nietzsches zu tun hatte.

Diesem Mißstand beendet die Biographie von Curt Paul Janz über Nietzsche. 1979 erschien dieses monumentale drei-bändige Werk im Carl Hanser Verlag. 1999 gab sie der Verlag Zweitausendeins als preiswerte Lizensausgabe heraus.

Diese Biographie räumt mit den Legenden um das Leben von Nietzsche gründlich auf. Im Mittelpunkt steht das Leben des Philosophen und erst von diesem Blickpunkt aus betrachtet geht Janz auf das Werk Nietzsches ein. Primär stehen biographische Daten und Lebensituationen des wohl umstrittensten Deutschen Philosophen.

Das Bild welches uns Janz von Leben und Werk Nietzsches gibt, unterscheidet sich beispielhaft von vielen anderen Versuchen. Immer den Menschen im Mittelpunkt, seine Verstrickung in alltägliche Banalitäten, aber auch die Tragödien angemesen berücksichtigend, schildert Janz das Leben Nietzsches als ein tragisches hin und her geworfen sein zwischen Sehnsucht nach Freundschaft, Liebe und Anerkennung einerseits und als bewußt angenommenes Schicksal eines einsamen, asketisch lebenden Philosophen andererseits.

Bei kaum einem anderen Philosophen besteht ein so großer Zusammenhang zwischen seinem Leben und seinem Werk wie bei Nietzsche. Dieser Tatsache trägt Janz auf eine beeindruckende Art und Weise Rechnung. Quellenstark und -sicher zeichnet er das Leben des Philosophen nach. Fair und redlich nähert er sich seinem Objekt. Bei aller spürbaren Sympathie doch immer kritisch, beschreibt er die Lebensumstände Nietzsches.

Herausgekommen ist das Bild eines Menschen, dessen Philosophie genauso wiedersprüchlich ist wie das Leben, das er geführt hat. In seiner Philosophie den einzelnen, starken Menschen verherrlichend, der sich voll und ganz seiner Lehre opfert, war er in seinem Leben ein Individuum das immer auf der Suche nach Freundschaft und Anerkennung war. Selber kränklich seit seiner Jugend, verherrlichte er doch Kraft und Stärke.

Selber nach seiner Lehrtätigkeit in Basel ruhelos und umherirrend, war auch seine Philosophie ein "auf dem Weg sein", ein Streben nach Verwirklichung des menschlichen Potentials.

Janz weist brillant Nietzsches philosophisches Streben nach individuellem Fortschritt nach. Der Mensch war für Nietzsche immer nur ein Übergang zu etwas größerem, zu etwas, was im Menschen schon angelegt ist, was aber durch starke erzieherische Persönlichkeiten erst geformt werden muß.

Eine wesentliche Stärke dieser Biographie besteht darin, ausführlich auf alle Personen einzugehen, die im Leben Nietzsches von Bedeutung waren. Ihre Lebensumstände und ihr Verhältnis zum Philosophen wird genau untersucht. Gemeinsamkeiten und Differenzen und deren Auswirkungen auf Nietzsches Leben werden geschildert.

Wer sich unbefangen und vorurteilslos mit dem Leben von Friedrich Nietzsche auseinandersetzen will, der kommt an der Lektüre dieser Biographie nicht vorbei. Abseits aller gängigen Klischees entsteht vor den Augen des Lesers das Bild eines integeren Menschen, der durch den Versuch seine eigene Philosophie konsequent zu leben, zur Einsamkeit verurteilt war.

Siehe auch:

Steven Aschheim, "Nietzsche und die Deutschen"

Ernst Nolte, "Nietzsche und der Nietzscheanismus"




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